Full text: Sächsische Volkskunde.

S. Ruge: Das sächsische Land. 5 
weit verbreitet, Bäume und Steine oder Felsen galten als Wohnung der Götter 
oder als ihr sichtbarer Leib, und von solchen Wesen leitete man auch die Herkunft 
der Menschen oder einzelner Völker ab. Später wurde dieser Aberglaube von 
den Propheten scharf getadelt; und so macht noch Jeremias (2, 27) den Königen, 
Fürsten, Priestern und Propheten in Israel den Vorwurf ähnlichen Götzen— 
dienstes, und daß sie zum heiligen Baume sagen, du bist mein Vater und zum 
Stein, du hast mich gezeuget. Ebenso fragt Penelope den heimkehrenden Odysseus 
(Odyssee 19, 162) „doch nun nenne du mir das Geschlecht, aus dem du gezeugt 
bist. Stammst Du doch nicht von dem Felsen und nicht von der Eiche der 
Sage“. Dieselbe Vorstellung, daß ein Volk aus Felsen und Bäumen entsprungen 
sei, finden wir auch in der Sage von der Herkunft der Sachsen. Gebrüder 
Grimm (Deutsche Sagen II, Nr. 413, 3. Aufl. 1891, S. 41) berichten darüber: 
Nach einer alten Volkssage sind die Sachsen mit Aschanes (Askanius), 
ihrem ersten Könige, aus dem Harzfelsen mitten im grauen Wald bei 
einem süßen Springbrünnlein herausgewachsen. Unter den Handwerkern hat 
sich noch heutzutage der Reim erhalten: 
Darauf so bin ich gegangen nach Sachsen, 
Wo die schönen Mägdlein auf den Bäumen wachsen, 
Hätt ich daran gedacht, 
So hätt ich mir eins davon mitgebracht. 
Nach einer andern Sage sollen die Sachsen, ehe sie ins deutsche Land 
kamen, im Heere Alexander des Großen gewesen sein. (Grimm, Sagen II, 
S. 42.) In ähnlicher dunkler Weise sollen die Bayern aus Armenien und 
die Franken von Troja gekommen sein. 
Das Handwerkslied, das soeben erwähnt ist, hat natürlich zahlreiche 
Varianten. In O. Schade's deutschen Handwerksliedern gehört S. 143 
der Vers zu des Handwerksburschen Geographie und hat folgenden Wortlaut: 
Dresden in Sachsen, Hätt ich eine mitgebracht 
Wo die schönen Mädels wachsen, Fürn Altgesellen auf der Post. 
Hätt ich dran gedacht, 
Nicht an das heutige Land, sondern an die Umgebung des Harzes in 
Niedersachsen, erinnert die folgende Fassung des Verses (Schade, 128): 
Jetzt reisen wir Bursche wohl alle zugleich 
Wohl durch das schöne Land Sachsen, 
Nach Leipzig und Dresden und nach Braunschweig, 
Wo die schönen Mädchen wachsen. 
Die Sage von der Herkunft der Sachsen aus dem Harzfelsen bildet 
auch den Anfang von H. Rollenhagens berühmtem Froschmäuseler: 
Da Aschanes mit seinen Sachsen 
Auß den Hartz Felsen ist gewachsen.
	        
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