Full text: Sächsische Volkskunde.

H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 153 
Von jeher stand der Kaufmann unter dem besonderen Schutze der öffent- 
lichen Gewalt; wie er auf seinen Wanderzügen einen besonderen Königsfrie- 
den genoß, so auch während seines Aufenthalts am Markte. Das Wahr- 
zeichen dieses Marktfriedens, ursprünglich wohl ein Kreuz, war in unseren 
Städten meist ein Strohwisch, der an allgemein sichtbarer Stelle aufgesteckt 
war, so lange der Markt währte. Dieser Marktfriede schützte einmal gegen 
unrechtmäßige Gewalt; wer sich gegen den Marktbesucher verging, unterlag 
besonders schwerer Strafe. Aber auch gegen rechtliche Verfolgung sicherte 
der Marktfrieden, sofern die Vergehen nicht am Marktorte begangen waren 
oder die privatrechtlichen Ansprüche nicht auf Geschäfte zurückgingen, die im 
Zusammenhang mit dem Markte standen; die Märkte genossen ein Asylrecht, 
von dem schwere Verbrecher allerdings ausgeschlossen waren. Für die während 
der Marktzeit, am Marktorte oder auch auf der Reise dorthin begangenen 
Vergehen, geschlossenen Verträge u. s. w. bestand ein besonderes Marktgericht, 
dessen Wahrnehmung in der Regel denselben Beamten oblag, die die ordent- 
liche Gerichtsbarkeit ausübten. Es ist darum vielfach schwer, die Grenze 
zwischen dieser und der Marktgerichtsbarkeit festzustellen. Es lag also sehr nahe, 
aus dem Marktfrieden den Stadtfrieden, aus dem Marktgericht das Stadt- 
gericht, aus der Marktverwaltung die Stadtverwaltung abzuleiten und dann 
weiter im Markt — nicht in der Marktansiedelung — den Ursprung der 
Stadt zu sehen. Aber so geistvoll diese Markttheorie auch ausgeführt worden 
ist, sie ist eine Konstruktion, die für unsere Städte wenigstens nicht zutrifft; 
richtiger ist es wohl, den Ursprung des Stadtfriedens im Burgfrieden zu 
suchen. Wird der Ausdruck jus fori, Marktrecht, hier und da gleichbedeutend 
mit Stadtrecht gebraucht, so ist unter forum hier nicht der Markt, sondern 
die Marktansiedelung zu verstehen. 
Bevor wir nun auf die rechtlichen und administrativen Momente ein- 
gehen, die aus der Marktansiedelung eine Stadt im Sinne des Mittelalters 
gemacht haben, verweilen wir zunächst noch einen Augenblick bei den wirt- 
schaftlichen Grundlagen unserer Städte und suchen aus ihnen die Zusammen- 
setzung der ältesten Stadtbewohnerschaft zu erklären. 
Die Städte waren Ansiedelungen von Handel= und Gewerbetreibenden, 
sind nicht aus, sondern neben Dörfern entstanden; wurden auch, wie wir 
sahen, einige dieser Dörfer von vornherein mit der Stadtanlage durch die 
Mauer vereint, die meisten führten völlig selbständig oder, wie in Leipzig 
und Dresden, als Vorstadtgemeinden noch Jahrhunderte lang, teilweise bis 
heute, eine Sonderexistenz neben der Stadt. Den ersten städtischen Ansiedlern 
mag der Betrieb der Landwirtschaft fern gelegen haben; nirgends hören wir, 
daß ihnen außer der area, dem Raum für Haus und Hof und etwa Garten, 
auch ein mansus, Ackerland, überwiesen worden sei. Allerdings erhielten die 
Städte wie die Dörfer eine Allmende, ein Wald= und Weidegebiet, zu ge-
	        
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