H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 161
den wir in unserem Lande nachweisen können, ist der vielumstrittene Aus-
druck Weichbild, ein niederdeutsches Wort: vic heißt Ort, bild Recht — also
Weichbild ist ganz dasselbe wie Stadtrecht. Die älteste in der Litteratur
belegte Anwendung dieser Bezeichnung findet sich in der mehrerwähnten Leipziger
Stadtrechtsurkunde: jus quod wicbilede dicitur. Über dieses Stadtrecht konnten
nur die Bewohner der Stadt, nicht die Bauern, Auskunft erteilen. So be-
durfte der Richter, um nach Stadtrecht zu richten, besonderer Urteiler, d. h.
die Entstehung eines eigenen Stadtrechts hatte zur notwendigen Folge die
Entstehung eines eigenen Stadtgerichts; die Stadt schied aus dem Gebiete
des Landgerichts aus. Auch dies erfolgte wohl bei uns so wenig wie die
Entstehung der Stadt allmählich, sondern durch förmlichen Akt; die Grün-
dung des Stadtgerichts erfolgte zugleich mit der Gründung der Stadt. Will
man dagegen einwenden, daß das Stadtrecht sich nur habe allmählich aus-
bilden können, so trifft das für unsere Städte nicht zu; sie waren in der
glücklichen Lage, ein bereits fertiges Stadtrecht übernehmen zu können. Es
war dies bei uns wie im ganzen Osten Deutschlands das Magdeburger Recht
oder das davon abgeleitete Recht der Stadt Halle. Die erste Stadt unseres
Landes, die nach Magdeburger Recht ausgesetzt war, war Leipzig; sie bildete
die Brücke, auf der das Magdeburger Recht dann in andere Städte gelangte.
Nach der Mutterstadt, nach Magdeburg, als dem „Oberhof“, wandte man sich
in Zweifelsfällen. Erst im 15. Jahrhundert trat Leipzig als Oberhof für
die sächsischen Städte an die Stelle von Magdeburg. In den westlichen Landes-
teilen finden wir auch, z. B. in Altenburg, einen Rechtszug nach Goslar.
Am selbständigsten gestaltete sich unter dem Einfluß des Bergbaues das Stadt-
recht in Freiberg; wohl finden sich auch hier Anklänge sowohl an das Magde-
burger als an das Goslarer Recht, aber ganz vereinzelt, und nur in seltenen
Ausnahmefällen wandte man sich um Rechtsbelehrung nach Magdeburg.
Genug, alle älteren sächsischen Städte hatten wohl von vornherein ein
eigenes Stadtgericht und bildeten besondere Gerichtsbezirke. Damit ist aber
noch nicht gesagt, daß die Stadt selbst in den Besitz dieses Gerichts gelangt
wäre. Das Gericht blieb ein öffentliches, ein landesherrliches; landesherr-
liche Beamte verwalteten es und zwar wie im Gebiete des Landgerichts: der
Vogt, der die auch in den Städten fortbestehenden drei echten Dinge leitete,
hatte in schweren, der Schultheiß in leichten und in Fällen der bürgerlichen
Gerichtsbarkeit zu richten. Der Villicus, der neben oder statt des Schult-
heißen vorkommt, auch wohl der nur in der ältesten Zeit in Leipzig erwähnte
Decanus sind, wie der Name des ersteren besagt, Beamte, die eigentlich der
Dorfverfassung angehören und aus den Städten bald verschwinden. Der
Vogt war in der Regel nicht ausschließlich für das Stadtgericht angestellt,
sondern stand der ganzen Vogtei vor, auch den ländlichen Bezirken; in der
Stadt aber richtete er nur mit Zuziehung städtischer Urteiler. Ausnahms-
Wuttke, sächsische Volkskunde. 2. Aufl. 11