Full text: Sächsische Volkskunde.

166 H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 
sichtsrecht wahrzunehmen, während ihr eigentliches Verwaltungsgebiet die zum 
Amt gehörigen Landgemeinden sind. 
Nach Magdeburger Recht war der Rat auf ein Jahr zu wählen. Man 
hielt sich aber in der Regel an Personen, die schon früher im Rate gesessen, 
und so wurde die Würde eines Ratsherrn thatsächlich eine lebenslängliche. 
Später, im 14. und 15. Jahrhundert, wurden in den meisten Städten zwei 
oder drei Ratskollegien gebildet, die jährlich in regelmäßigem Turnus ab- 
wechselten, so daß das eine die laufenden Geschäfte besorgte, das andere oder 
die beiden andern ruhten und nur bei besonders wichtigen Anlässen mit 
herangezogen wurden. Aus der lebenslänglichen Dauer der Ratsämter ent- 
wickelte sich eine gewisse Erblichkeit; die Zahl der Familien, denen man 
die Ratsmitglieder entnahm, wurde eine beschränkte; es entstand ein nicht 
rechtliches, aber thatsächliches Patriziat. Diesen Ring zu brechen, neue Ele- 
mente, namentlich aus den weniger bemittelten Kreisen, in den Rat zu 
bringen, war im späteren Mittelalter das Bestreben der Zünfte; neben ihrer 
wirtschaftlichen gewannen sie auch eine politische und soziale Bedeutung, 
brachten tiefgreifende Klassenunterschiede in die Bevölkerung. Auch bei uns 
kam es im späteren Mittelalter vielfach zu Zunftkämpfen; wenn sie sich nicht 
zu der Schärfe entwickelten, wie in den Stadtgemeinden des deutschen Südens, 
Westens und Nordens, so ist dies vor allem dem Umstande zu danken, daß 
der vermittelnde Einfluß der Landesherrschaft stets stärker geblieben ist als 
dort. Vielfach erreichten die Zünfte, daß eine beschränkte Anzahl von Rats- 
mitgliedern aus ihren Kreisen entnommen werden mußte; der fortschreitenden 
Versteinerung des Rates, der Vetternwirtschaft und eigennützigen Verwaltung, 
die daraus folgten, haben die Zunftbewegungen jedoch nicht Einhalt thun 
können: wenn wir die Stadtverwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in 
schnellem Verfalle begriffen sehen, so liegen hier vor allem die Ursachen 
dieses Verfalls. 
Wenn bei wichtigen Anlässen häufig der Mitwirkung der ganzen Ge- 
meinde, der communitas civium, der Bürger arm und reich gedacht wird, 
so mag man annehmen, daß in älterer Zeit bisweilen die gesamte Bürger- 
schaft auf dem Markte versammelt wurde, um ihre Zustimmung zu den Be- 
schlüssen des Rates kund zu geben oder ihr Mißfallen zu äußern. Aber eine 
geordnete Gemeindevertretung neben dem Rate gab es wohl nicht. Zuweilen 
wird des Beirates der ältesten, weisesten, „wegesten“ Bürger gedacht; aber es 
handelt sich dabei wohl mehr um das unverbindliche Gutachten einzelner an- 
gesehener Bürger als um einen fest organisierten Bürgerausschuß. Erst im 
spätern Mittelalter, als die ursprünglich militärischen Zwecken dienende 
Einteilung der Stadt in Innenbezirke, in Stadtviertel, allgemein ein- 
geführt war, liegt den Viertelsmeistern nicht selten eine solche Ver- 
tretung der Gemeinde ob. In derselben Zeit finden wir auch, daß die
	        
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