Full text: Sächsische Volkskunde.

Robert Wuttke: Stand und Wachstum. 179 
nicht angesessen ist; in der Landgemeinde soll es nur Bauern geben und zu 
einem Bauern gehört eine Wirtschaft. Die ältere Wirtschaftsordnung kennt 
keinen bodenenteigneten Stand. Die soziale Differenzierung innerhalb des 
Dorfes: Vollbauer, Halbbauer, Häusler richtet sich nach dem Umfang und 
der Größe des Grundbesitzes. 
Seit dem 16. Jahrhundert kommt nun ein neuer Stand auf: die 
Hausgenossen. Er ist der erste grundenteignete Stand und mit seinem 
Auftreten beginnt innerhalb der sozialen Klassen eine große Verschiebung. Zu- 
erst nur geduldet, aller politischen Rechte entkleidet, wirtschaftlich am schwächsten, 
auf seine eigene Arbeitskraft angewiesen, unbedeutend an Zahl gegen die 
anderen Klassen, wächst er von Jahrhundert zu Jahrhundert an Einfluß, 
Macht und Zahl, und heute ist er der herrschende Stand geworden, ihm 
gehört der weitaus größte, wohlhabendste und einflußreichste Teil aller Staats- 
bürger an und nur noch an einigen Resten mittelalterlichen Verfassungs- 
lebens läßt sich die ehemalige ausschlaggebende Stellung der grundbesitzenden 
Stände erkennen. 
Was ist die Ursache dieser Zersetzung der mittelalterlichen Gesellschaft 
und des siegreichen Emporkommens eines neuen Standes gewesen? Die 
Antwort ist leicht zu finden: die stetige Bevölkerungszunahme. 
Am Ausgange des Mittelalters ist alles bewirtschaftbare Land vergeben, 
neuer Boden kann nicht mehr urbar gemacht werden, wo soll nun der Be- 
völkerungszuwachs in der Volkswirtschaft untergebracht werden? Zwei Wege 
standen offen: entweder mußte man den Besitz in immer kleinere Parzellen 
auflösen, allmählich alle Vollbauern in Halbbauern, später in Häusler 
umwandeln, oder es mußte der Zuwachs unabhängig vom Bodenbesitz 
gestellt werden. 
Nicht wie man denken sollte, breiteten sich die Hausgenossen in den 
Städten und auf dem Lande allmählich kaum bemerkbar aus; im Gegenteil, 
ihr Aufkommen war ein soziales Ereignis, das die öffentliche Aufmerksamkeit 
in hohem Grade erregte und dem man durch gesetzgeberische Maßnahmen 
zu steuern versuchte. In einen Irrtum darf man freilich nicht verfallen. 
Hausgenossen gab es auch im Mittelalter, so wurde auch der Auszügler im 
Dorfe, der Adlige, der sich in der Stadt aufhielt und zur Miete wohnte, 
genannt. Nicht um diese handelt es sich, sondern um Leute, die wohl auch 
zur Miete wohnen, die aber auf die Verwertung ihrer Arbeitskraft angewiesen sind. 
Ganz allgemein wurde auf dem Lande von jedem Hausgenossen ein 
Zins ins Amt verlangt; fast schon einer Ausschließung der Hausgenossen 
kam es gleich, wenn, wie z. B. im Amt Schwarzenberg 1550, es jedem Bauer 
oder Häusler verboten war, länger als ein Jahr einen Hausgenossen zur Miete 
zu behalten. In anderen Amtern mußten sie besondere Frohndienste leisten. 
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