Full text: Sächsische Volkskunde.

196 Robert Wuttke: Stand und Wachstum. 
Ahnlich wie wir es für den Gebietsumfang nachgewiesen haben, schwanken 
auch in der zeitgenössischen Litteratur die Angaben über die Bevölkerungs- 
größe Sachsens; Pölitz führt u. a. zehn verschiedene Ziffern an, die um 
600 000 untereinander differieren. 
Die Freiheitskriege haben die Bevölkerung nicht erheblich geschwächt, 
wohl aber brachte der Wiener Frieden Sachsen einen großen Gebietsverlust; 
über die Hälfte mußte an Preußen abgetreten werden. Der Bevölkerungs- 
verlust drückt sich in folgenden Zahlen aus: 
Bevölkerung im zehnjährigen Durchschnitt: 1802—1812 2 018.000 
1815—1825 1243000 
— 775,000 
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts sank das Ansehen Deutsch- 
lands unter den Völkern Europas und noch heute, trotz des glänzenden 
Aufschwunges, den unser Volk genommen hat, haben wir mit Anschauungen 
und Vorurteilen zu kämpfen, die sich damals über deutsches Wesen festsetzten. 
Die Kraft des alten Deutschen Reichs ward in jenen Zeiten gebrochen. Der 
30 jährige Krieg im 17. Jahrhundert und der 7jährige im 18. gingen an 
die Wurzeln des Volkslebens, aber sie einigten nicht, sondern trennten die 
deutschen Stämme. Die Staaten suchten sich von einander abzuschließen; 
Protestanten durften sich nicht in katholischen Landen und umgekehrt nieder- 
lassen. Die alte deutsche Wanderungslust flaute ab; auf fast allen wirt- 
schaftlichen Gebieten trat Stillstand, wenn nicht Rückgang ein. Immermehr 
trat an Stelle eines Gemeinschaftslebens ein Sonderleben und die deutsche 
Geschichte verfiel in die Geschichte einzelner größerer Territorien. 
Der einzelne deutsche Staat und mit ihm seine Bevölkerung verlor die 
Fühlung mit dem Ganzen. Kein Zuzug von außen, kein Abzug von innen. 
Es war eine Zeit des Sichauslebens, der Abgeschlossenheit. Auf seine eignen 
Kräfte war ein jeder Staat beschränkt. 
Auch in Kursachsen läßt sich diese einseitige geistige Entwicklung ver- 
folgen. Es gelang nicht einmal die verschiedenen Gebiete zu einer staats- 
rechtlichen Einheit zu verschmelzen. Die Lausitz wurde den Erblanden nur 
angegliedert, nicht einverleibt und schroff standen sich Sachsen und Lausitzer 
gegenüber, aber auch in den Erblanden behielten die Stifte ihre besondere 
Verfassung und ihren eigenen Landtag. Die Verwaltung des Landes hatte 
mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die wir uns heute kaum mehr vorstellen 
können. Ein jeder Stand klammerte sich ängstlich an die einmal erworbenen 
Gerechtsame; sie sich zu erhalten schien ihm die erste und vornehmste Auf- 
gabe, und wenn sie längst innerlich haltlos geworden waren, suchte man den 
äußeren Schein zu bewahren. August der Starke wandelte gegen den Willen 
der Stände in den Städten die direkten Staatssteuern in eine General-
	        
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