Robert Wuttke: Die Bevölkerungsgliederung. 223
durchschnittlich zu thun pflegt, auf seine Ausbildung verwandt hat, erlangt
mit seinen besseren Kenntnissen nicht gleichzeitig die Möglichkeit sein Alter
zu verlängern. In der Bildungszeit soll der Mensch zur selbständigen
wirtschaftlichen Thätigkeit erzogen werden, dann kommt die Sammelzeit, d. h.
Verarbeitung und Verwertung des Gelernten. Wenn wir diese Sätze volks-
wirtschaftlich ausdrücken wollen, so werden wir sagen: die Erziehung zur
Erwerbstüchtigkeit bedeutet eine Kapitalsanlage, in der Erwerbszeit muß das
Kapital nicht nur verzinst, sondern auch wieder erstattet werden. Jede Er-
weiterung der Bildung, wenn sie nicht in einer intensiveren Ausnutzung der
Lernzeit, sondern in einer Verlängerung derselben beruht, muß das Anlage-
kapital vergrößern und die produktive Arbeitszeit verkürzen. Die menschliche
Lebensdauer ruft hier der menschlichen Entwickelung ein Halt zu. Es giebt
eine Grenze, über welche man nicht ohne große Gefahren für ein Volk die
Lernzeit verlängern darf.
Früher war in Sachsen wie in anderen deutschen Staaten weder die
Schulzeit, noch die Lernzeit so lang wie gegenwärtig, das hatte zur Folge,
daß man damals das Erziehungskapital in einem längeren Zeitraum als jetzt
zu verzinsen und zu erstatten hatte.
In Sachsen werden, man kann fast sagen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt,
immer höhere Anforderungen an Können und Wissen gestellt. Der größere
Teil der Einwohner findet in Industrie und Handel, der kleinere in der
Landwirtschaft sein Unterkommen, die ersten beiden Berufe pflegen eine
verhältnismäßig längere Ausbildungszeit, besonders ihres höheren technischen
Personals, als der landwirtschaftliche Beruf zu beanspruchen. Hand in
Hand geht damit aber, wie wir zu zeigen versucht haben, eine Vergrößerung
des im Menschen angelegten Bildungskapitales. Da die Nutzungszeit kürzer
ist, muß intensiver gearbeitet werden, es müssen größere Anstrengungen
gemacht werden, um das Bildungskapital zu erstatten. Die Folge ist,
nervöse Überhastung und Uberanstrengung bei der Arbeit und frühzeitiger
Zusammenbruch der körperlichen und seelischen Kräfte. In engster Ver-
bindung steht damit in Sachsen die überaus hohe männliche Sterblichkeit
von den 40er Jahren ab, und wie wir weiter sehen werden, der Selbstmord,
ein schweres Gebrechen des sächsischen Volkes.
Das Bibelwort: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, ich will
ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei“, enthält eine tiefernste ewige
Wahrheit und als Zeichen einer gesunden Volksentwickelung werden wir es
stets ansehen, wenn möglichst viel Frauen und Männer in der Ehe leben
können. Eine hohe oder niedrige Zahl der Verheirateten innerhalb einer
Bevölkerung läßt auf die jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Verhält-