Robert Wuttke: Verbrechen und Selbstmord. 237
Unter den größeren Bundesstaaten weist Sachsen bei Sachbeschädigung
und Meineid die niedrigsten Zahlen auf; in die zweite Stelle rückt es nach
Württemberg bei Hehlerei und Raub, nach Baden bei Beleidigung, in die
dritte nach Württemberg und Baden bei Hausfriedensbruch. Für die säch-
sischen Verhältnisse ist es recht bezeichnend, daß wir bei keinem dieser
Verbrechen eine Zunahme, bei einigen aber eine Abnahme beobachten können.
Das mitgeteilte Zahlenmaterial bietet genügend Anhalt zur Beurteilung
der Kriminalität der sächsischen Bevölkerung mit einer Ausnahme: der
wegen Beleidigung Verurteilten. Diese Zahlen lassen keinen Schluß über
die Ehrverletzung in Wort und That zu, denn nur der kleinste Teil der
anhängigen Beleidigungsklagen kommt zu gerichtlicher Entscheidung, der
weitaus größte Teil wird vorher beim Friedensrichter, beim Gerichtsschreiber,
in der Gerichtsverhandlung beigelegt; ausschlaggebend ist die Gerichtspraxis
und die Strafprozeßordnung; so betrugen z. B. in Sachsen die wegen
Beleidigung erledigten Untersuchungen im 5jährigen Durchschnitt 1874/78:
36 098, dagegen 1880/84°) nur 6241.
Wenn wir das Ergebnis aus unserer Untersuchung ziehen, so ist wohl
am bemerkenswertesten der Rückgang der sächsischen Kriminalität in einer
Zeit allgemeiner Zunahme, ein Rückgang, der um so auffälliger ist, als in
Sachsen die Altersklasse 15—40 Jahre, die die meisten Verbrecher zu stellen
pflegt, besonders stark besetzt ist. Es beweist, daß dem verbrecherischen Hang
sittliche Mächte entgegenwirken. Sittlichkeit und Religiosität sind noch
lebendige Kräfte in unserem Volksleben; dafür spricht die geringe Zahl der
wegen Meineids oder wegen Verletzung der Eidespflicht Verurteilten, und
die oft verspottete sächsische Gemütlichkeit hat doch auch ihre guten Seiten,
sie hält unser Volk vor groben Ausschreitungen — man vergleiche Sachsen
mit Bayern — zurück. Kein anderer deutscher Stamm kann sich rühmen,
eine so günstige Kriminalität wie Sachsen aufzuweisen.
wegen Sachbeschädigung wegen Meineids
Preußen Bayern Württemberg Baden Preußen Bayern Württemberg Baden
1882/91: 41 48 26 32 2,8 3,6 8,0 2,5
1892: 42 56 35 38 2,5 2,1 2,2 2,5
1894: 47 61 35 43 2,3 2,6 1,8 2,0
wegen Hausfriedensbruchs wegen Hehlerei
Preußen Bayern Württemberg Baden Preußen Bayern Württemberg Baden
1882/91: 58 33 16 17 26 21 15 17
1892: 59 40 21 21 30 21 12 16
1894: 62 45 23 29 25 19 14 15
1895: 65 44 25 30 24 18 15 16
1896: 63 52 25 33 22 19 12 16
*7) Einführung des Sühneverfahrens vor den Friedensrichtern am 1. Oktober 1879.