Full text: Sächsische Volkskunde.

254 Hermann Dunger: Bolksdichtung in Sachsen. 
der Asthetiker Vischer sagt, einen gewissen „Erd= und Wurzelgeruch“ an sich. 
Wenn auch die größeren Volkslieder meist nicht in der Mundart, sondern 
in der Schriftsprache abgefaßt sind, so zeigen sie doch vielfach mundartliche 
Anklänge und Altertümlichkeiten der Sprache wie z. B. die Häufung der 
Verneinung: „wie heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß". Sehr 
beliebt ist die Wiederholung desselben Wortes: „Ach Joseph, lieber 
Joseph, was hast du gemacht, daß du die schöne Lina ins Unglück gebracht" — 
„Schatz, mein Schatz, reise nicht so weit von hier" — „Spinn, spinn, 
meine liebe Tochter, ich kauf dir ein paar Schuh. — Ja, ja, meine liebe 
Mutter, auch Schnallen dazu. Ich kann ja nicht spinnen, es schmerzt mich 
mein Finger und thut und thut und thut mir so weh.“ Aber nicht nur 
einzelne Worte, sondern ganze Sätze werden ohne alles Bedenken wiederholt. 
In dem Liede „Es wollt' ein Mädchen grasen“ erzählt die Tochter ihrer 
Mutter, es gehe ihr alle Morgen ein stolzer Soldat nach. Die Mutter rät 
ihr, den Soldaten fahren zu lassen. Aber der Tochter gefällt das nicht: 
Der Soldat der ist mir lieber 
Als meines Vaters Gut. 
„Ist dir der Soldat lieber 
Als all'’ deines Vaters Gut, 
So pack deine Kleider zusammen 
Und scher dich mit ihm fort.“ 
— Ach Mutter, liebste Mutter, 
Der Kleider sind nicht viel, 
Geb' sie mir hundert Thaler, 
Dann kauf' ich, was ich will. — 
„Ach Tochter, liebste Tochter, 
Der Thaler sind nicht viel, 
Dein Vater hat sie verrauschelt 
Bei Würfel und Kartenspiel.“ 
— Hat sie mein Vater verrauschelt 
Bei Würfel und Kartenspiel, 
So mag sich Gott erbarmen, 
Daß ich sein Töchterlein bin. (Aus dem Vogtland.) 
Eine andere Stil-Eigentümlichkeit des Volksliedes ist die Werwendung von 
Fragen, die sogleich beantwortet werden. „Was zog er aus seiner Tasche? 
Ein Messer scharf und spitz, das stieß er dem Mädchen ins Herze, das s 
rote Blut gegen ihn spritzt.“ — „Was zog er von dem Finger? ein goldnes 
Ringelein.“ — „Was that sie von ihrem Halsed eine Kette von schwerem Gold, 
schenkt sie dem armen Schiffer: „„Kauft euren Kindern Brot!““ Diese 
Proben zeigen uns zugleich, daß man es mit dem Reim nicht streng nimmt. 
Gut-— fort, spitz—spritzt, Gold Brot müssen mit einander reimen, daran nimmt 
das Volk keinen Anstoß. Sehr beliebt sind Wechselgespräche, die ohne 
Ubergang auf einander folgen. Man muß aus dem Zusammenhang erraten,
	        
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