Full text: Sächsische Volkskunde.

Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen. 255 
daß eine andere Person spricht. Dies hängt zusammen mit der Lebendig- 
keit, dem raschen Gang der Handlung, den „kühnen Sprüngen" der Dar- 
stellung, an denen schon Herder seine herzliche Freude hatte. Mit wenigen 
Pinselstrichen wird oft eine Handlung mehr angedeutet, als gezeichnet. Es 
bleibt unserer Einbildungskraft überlassen, die Lücken zu ergänzen. 
Besonders bezeichnend für die Darstellungsweise der Volkslieder ist ihre 
Naturinnigkeit. Das Landvolk, das doch in der Hauptsache den Volks- 
gesang vertritt, ist mehr mit der Natur verwachsen, als es sich selbst bewußt 
ist; und so drängt sich bei dem Aussprechen menschlicher Empfindungen überall 
die Natur hinein. „Blättert man nur im Verzeichnis der Liederanfänge,“ 
sagt Uhland, „so grünt und blüht es allenthalb. Sommer und Winter, 
Wald und Wiese, Blätter und Blumen, Vögel und Waldtiere, Wind und 
Wasser, Sonne, Mond und Morgenstern erscheinen bald als wesentlicher 
Bestandteil der Lieder, bald wenigstens im Hintergrund oder als Rahmen 
und Randverzierung.“ Daher werden die meisten Bilder aus der Natur ent- 
lehnt. „Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, wie heimliche Liebe, 
von der niemand nichts weiß. Keine Rose, keine Nelke kann blühen so schön, 
als wenn zwei Verliebte so bei einander stehn"“ — u. s. w. Ahnlich in einer 
anderen Fassung das vogtländische Lied: 
Kein Feuer ist auf Erden, das brennet nicht so heiß, 
Als die verborgene Liebe, die niemand weiß. 
Das Feuer kann man löschen, die Liebe nicht vergessen, 
Das Feuer brennt so sehr, die Liebe noch viel mehr. 
Der treulosen Geliebten ruft der verschmähte Liebhaber zu: „Deine 
Schönheit wird vergehn, wie's Blümlein auf dem Feld. Da kam ein 
Reiflein bei der Nacht und nahm dem Blümlein seine Pracht.“ Die bösen 
Zungen, die anderen die Ehre abschneiden, werden mit Dornen und Disteln 
verglichen: „Die Dornen und die Disteln die stechen gar zu sehr, die falschen 
Zungen noch vielmehr. Viel lieber wollt' ich gehn, wo Dorn' und Disteln 
stehn, als wo zwei falsche Zungen zusammen stehn.“ Die Natur selbst wird 
als beseelt gedacht, sie nimmt teil an dem Geschicke der Menschen. „Wenn 
sich zwei Verliebte scheiden, da verwelken Laub und Gras.“ — „Küsset dir ein 
Lüftelein Wangen oder Hände, wisse, daß es Seufzer sein, die ich zu dir 
sende."“ Auch zur Bezeichnung einer Unmöglichkeit muß die Natur dienen. 
„Wenn der Apfelbaum Kirschen trägt und der Mühlstein selber schlägt, dann 
soll Hochzeit werden.“ (A. Müller, Volkslieder aus dem Erzgeb. S. 105.) 
Ahnlich in einem vogtländischen Liede: 
Wenn der Mühlenstein trägt Reben 
Und daraus fließt süßer Wein, 
Wenn der Tod mir nimmt das Leben, 
Hör ich auf dein Freund zu sein.
	        
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