262 Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen.
Rosen bewirft und dabei, ohne es zu merken, den im Hintergrund zuschauenden
verratenen Geliebten trifft — ein feiner, sinniger Zug. Er schreibt der
Treulosen einen Abschiedsbrief und will aus Verzweiflung in die weite Welt
gehen. Da trifft er sie noch einmal, wie wir aus den Worten ersehen:
„Was willst du schon reisen fort? Hast ja noch Zeit!“ Die letzten Verse
zeigen den verlassenen Burschen in der Fremde, obgleich dies nach der Art
des Volksliedes nicht ausdrücklich ausgesprochen wird. Müde legt er sich
nieder auf Heu und auf Moos, da fallen drei Röselein ihm in den Schoß.
Die Rosen erinnern ihn an das noch immer geliebte Mädchen, das ihn am
Brunnen bei dem Scherzen mit dem Nebenbuhler mit den Rosen getroffen
hat. „Und diese drei Röselein sind rosenrot“, das Bild der Geliebten, die
er trotz ihrer Treulosigkeit doch nicht vergessen kann, tritt von neuem lebhaft
vor seine Seele, und voll wehmütiger Erinnerung schließt er: „Jetzt weiß ich
nicht, lebt mein Schatz, oder ist er tot.“
Ich glaube, man wird der vogtländischen Fassung unbedingt den Vor-
zug zugestehen müssen. Erst das Rosenwerfen am Brunnen erklärt uns,
wie die drei Röselein in der Fremde im Herzen des Burschen die alte Wunde
wieder aufreißen können. Ubrigens scheint diese Form des Volksliedes sonst
nicht vorzukommen. In der großen Volksliedersammlung von Erk und Böhme
(Liederhort I., Nr. 203, S. 610) sind mehrere Texte aus verschiedenen
Gegenden abgedruckt, aber keiner stimmt mit dem unseren überein.
Ahnlich verhält es sich mit dem Urbilde von Uhlands berühmtem Liede:
„Ich hatt' einen Kameraden —." Uhland hatte dabei ein altes Volkslied
vor Augen, das nach einer Mitteilung Berthold Auerbachs') in Schwaben
folgendermaßen gesungen wird:
Ach Bruder, ich bin es geschossen. Ach Bruder, ich kann dir nicht helfen,
Eine Kugel hat mich getroffen, Helfe dir der liebe Gott!
Führ mich in mein Quartier, Wir Soldaten, wir müssen's marschieren,
Daß ich verbunden wür. Marschieren fort und fort.
Das sind aber nur die zwei ersten Verse eines größeren Liedes, das im
Erzgebirge gesungen wird (Alf. Müller, Erzgeb. Volkslieder S. 21):
1. Kamerad, ich bin geschossen, 3. Morgen früh um dle sechste Stunde,
Eine Kugel, die hat mich getroffen; Da marschieren wir zum schönen Thor
Schafft mich in ein Quartier, binaus.“ —
Daß ich nicht verblute hier. Kamerad ich muß verbluten,
Und du Bösewicht machst dir nichts daraus.
2. „Kamerad, wir können dir nicht helfsen, 4. Wenn es meine Mutter wüßte,
Denn es helfe dir der liebe Gott schon selber, Daß ich auf dem Schlachtfeld lieg'
Denn es helse dir der liebe Gott; Osie würde mich gewiß noch einmal küssen,
Morgen früh marschieren wir sort. Und mein holdes Liebchen käm zu mir.
) Vgl. Zeitschrift f. Völkerpsychologie v. J. 1879 S. 84.