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Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen.
5. Meine Mutter, die mich mit Schmerzen hat geboren,
Und ich weiß gewiß, sie liebt mich recht sehr;
Auf das Schlachtfeld sind wir gezogen
Und wir sehn uns nimmermehr.
Noch eine andere Fassung besitze ich aus dem geschriebenen Lieder-
buche eines Leipziger Soldaten, die aber einen anderen Schluß hat. Solche
kleinere oder größere Abweichungen im Texte finden wir fast bei allen
Liedern, die bei uns gesungen werden. Das bekannte Volkslied: Mädchen,
wenn ich dich erblicke, find’ ich keine Ruh nicht mehr — kenne ich in einer
Fassung aus Rathewalde in der Sächsischen Schweiz. Dort ist abweichend
von der vogtländischen und erzgebirgischen Form (A. Müller, S. 54) als
zweiter Vers eingesetzt:
Es stehen zwei Sternlein an dem Himmel,
Scheinen so hell wie Sonnenstrahl,
Der eine scheint bei meinem Schätzchen,
Der andre über Berg und Thal.
Wie lebendig das Volkslied noch in manchen Gegenden ist, wie eng
verwachsen es ist mit dem Gefühlsleben des Volks, dafür kann ich einen
eigenartigen Beweis vorlegen, den ich der Güte eines verstorbenen Freundes
verdanke. Dieser fand vor etwa 25 Jahren als Untersuchungsrichter in
Leipzig unter den Papieren eines Verbrechers eine Anzahl Briefe, die diesem
seine frühere Geliebte, eine Fabrikarbeiterin, geschrieben hatte und zwar
in Versen. Aber diese Verse hatte sie zum größten Teil nicht selbst gemacht,
sondern aus verschiedenen Volksliedern zusammengesetzt, wie es ihr gerade zum
Ausdrucke ihrer Gefühle paßte. Aus den Briefen kann man die ganze Ent-
wickelung des Liebesverhältnisses verfolgen. Es ist die alte Geschichte: erst
lauter Glück und Jubel, dann der Fehltritt mit seinen Folgen, schließlich
Treulosigkeit des Mannes, der des Mädchens überdrüssig geworden ist. Die
Briefe lauten so:
I.
Den ich nicht mag, den seh' ich alle Tag;
Der mein Herz erfreut, der ist so weit!
Es wachse unter Deinen Tritten,
Ein Thal von Blumen, schön und dicht,
Drin blüh' für mich in Deiner Mitten
Ein herzliches Vergißmeinnicht.
Denn Du ißt mit mir und Du trinkst mit mir
Und Du schläfst die liebe, lange Nacht mit mir.
II.
Vergiß mich nur, Du Ungetreuer,
Du brachst den Schwur, und ich bereue
Die Thorheit, daß ich Dich geliebt.
Ich mag nun nichts mehr von Dir wissen,
Von Herzen kann ich Dich nicht küssen,
Da Deine Falschheit mich betrübt.
Ich hätt’ ja wahrlich Blut und Leben
Für Dich, Du Falscher, hingegeben,
Du aber hast ein schlechtes Herz,
Du kränkst mein ehrliches Gemüte,
Für alle Dir erzeugte Güte
Machst Du mir nichts als Gram und Schmerz.
Wie wird Dich Dein Gewissen plagen,
Wie wird Dich der Gedanke nagen,
Daß Du mich hast so sehr gekränkt.