268 Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen.
Neckerei. Aber auch manche Lebenserfahrung spricht sich darin aus, wie in
dem erzgebirgischen Tschumperliedel von dem heiratslustigen Mädchen:
Ach wennr neer käm', — Nu is 'r gekumme
Doß er miech nähm', Und hot miech genumme,
Doß ich doch endlich -u bin ich noch särrner (mehr)
Vun Klipp'’lsack käm'! Zum Klipp'lsack kumme.
Treffend urteilt G. Böttcher über dieses Liedchen: „Die Sehnsucht des
harrenden Mädchens, die bittere Enttäuschung nach der Erfüllung der Sehn-
sucht kann nicht packender geschildert werden als in jenen einfachen Versen.“")
Neben manchem Innigen und Zarten treffen wir auch viel Kräftiges
und Urwüchsiges, wie in der Klage eines Burschen über die Treulosigkeit
seines begüterten Schatzes:
Wenn ich an män'n Schatz gedenk
Und an sei schiens Haus,
Do derk ich halt alleweil,
7.s Béreißt mir'sch raus.
Auch an Derbheiten fehlt es natürlich nicht. Es sei mir gestattet,
auch davon eine Probe zu geben, die zugleich zeigen mag, wie geläufig
dem Volke solche Reime sind. Als die erste Eisenbahn im Vogtland gebaut
wurde, zum großen Mißvergnügen der Bauern, die ihre Felder trotz reichlicher
Entschädigung nur ungern hergaben, fand ein Ingenieur an einer der Ver-
messungsstangen einen Zettel folgenden Inhalts:
Die Stange, die senn weiß,
Und eure Sach' ist — (ein derbes Wort);
Den König be— ihr üm's Geld
Und den Bauer üm sei Feld.
Zur Volksdichtung gehören auch die volkstümlichen Kinderlieder.
Auch sie sind im Volk entstanden, man weiß nicht, wer sie verfaßt hat; auch
sie sind in ihrem Grundstock Eigentum des ganzen Volks, sie sind mündlich
von Geschlecht zu Geschlecht überliefert und zeigen das eigentümliche Wesen
des Volkslieds, Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrheit. Und ebenso wie
bei den Volksliedern sehen wir den Bestand der echten, alten Kinderlieder
durch neumodische Machwerke, seichte, fade, süßliche Reimereien bedroht, wie
sie dutzendweise auf den Markt kommen. Hier gilt es, den alten, köstlichen
Besitz aus der Bäter Zeiten für unsere Kinder zu erhalten. Darum lohnt
es sich, diese Liedchen zu sammeln, und wo sie auszusterben drohen, durch
Einwirkung auf die Erwachsenen der Kinderwelt wieder zugänglich zu machen.
Wie ich oben mitgeteilt habe, ist in dieser Beziehung in Sachsen schon
ziemlich viel geschehen; aber die vor kurzem erschienene Sammlung Dähnhardts
zeigt, daß noch immer viel Neues zu finden ist, zumal jeder Landstrich seine
Besonderheiten aufzuweisen hat.
*) Beiträge zur Landes= und Bolkskunde des Königr. Sachsen. (Leipzig 1890). S. 88