270 Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen.
Ahnungslos antwortet natürlich der gefragte Junge: Keilemich! Doch
dem ist kaum das Wort entfahren, möcht' er's im Busen gern bewahren,
umsonst — keile mich! läßt sich ein Junge nicht zweimal sagen; wie gesagt,
so gethan.
Die Kinderlieder, die teils gesungen, teils gesprochen werden, bilden den
Ubergang zu den Reimsprüchen, die nur „gesagt“ werden. In der Ent-
stehung wie in der Überlieferung stimmen sie mit den gesungenen Volksliedern
überein, aber sie sind ihrem Wesen nach mehr lehrhafter Art. Wie die
Sprichwörter sind sie ein Niederschlag der Weisheit des Volks. „Rentlich
(reinlich) und ganz — giebt alten Sachen Glanz“ sagt der Vogtländer. „Gut-
schmeck macht Bettelsäck“ mahnt der Erzgebirger. Daß das Heiraten wohl
überlegt sein will, lehrt der Spruch: „Freier, sieh dich um und auf, Freien
is ä langer Kauf“; daß niemand auslernt, ein anderer: „Wenn du alt wirst
wie ä Kuh, lernen mußt du immer zu.“ Auf alter Erfahrung beruht der
Satz: „Pfarrersch Kinner, Müllersch Küh, wenn sie geraten, is d gutes Vieh“.
Vieljährige Beobachtungen verdichten sich zu Reimen in den Wetterregeln:
„Januar warm — daß * Gott erbarm.“ „Märzenstaub bringt Gras und
Laub.“ „Aprilen-Blut (Blüte) — thut selten gut.“ „Scheint die Sonne
auf den nassen Busch, da kommt bald ein neuer Husch" (—= Regenschauer).
Auch für verschiedene Beschäftigungen giebt es solche Sprüche, für die einzelnen
Handwerke, woran sich die Zunftgenossen gegenseitig erkennen, für das Hebe-
fest beim Hausbau, auch für das Anbinden oder Schnüren, wenn ein
Unbefugter den Bauplatz betritt. Dann hält ihm ein Maurer die Lotschnur
vor die Brust und sagt:
Mit Gunst und Erlaubnis, meine Herren!
Sie werden wissen, Sie haben sich vergangen,
Drum wer’n Sie mit der Schnur empfangen,
Die Schnur is frei,
Der Bau is neu.
Wir schnüren Kaiser, König und Fürsten,
Denn uns Mäurer thut's immer sehr dürsten,
Mit ein'n Gläsel Bier oder Wein
Woll'n wir schon zufrieden sein.
Auch hier finden wir viele Neckreime. So zieht man in der Scch-
sischen Schweiz die Städte Hohnstein, Neustadt und Sebnitz mit folgendem
Verschen auf:
Wer von Hohnstein kommt ungesessen,
Und von Neustadt sattgegessen,
Und von Sebnitz ungeschlagen,
Der kann von großem Glücke sagen. (A. Meiche, Sagenb. S. 103.)
Dieser Spruch kann uns zugleich zeigen, wie solche Reime vielfach ent-
standen sind. Er ist die Umbildung eines alten Studentenspruches, den
ich aus Leipzig in folgender Fassung kenne: