Full text: Sächsische Volkskunde.

274 Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen. 
Schrift mehr praktische Zwecke, er will die Weihnachtsspiele in veredelter 
Gestalt wieder lebensfähig machen und läßt daher ein von ihm selbst ver- 
faßtes Spiel abdrucken. Er hat damit auch Anklang gefunden. Sein Stück, 
das unter dem Titel „Christi Geburt, Weihnachtsfestspiel in sieben Hand- 
lungen“ in erweiterter Gestalt bereits in dritter Auflage erschienen ist 
(Annaberg, Graser 1900), wird im Erzgebirge öfter mit Erfolg aufgeführt. 
Für unsern Zweck sind aber die alten volkstümlichen Texte wichtiger. Auch 
von diesen sind manche noch im Erzgebirge in lebendiger Ubung. Nach einer 
Mitteilung des Herrn Dr. Alfred Müller in Auerbach, des trefflichen Volks- 
liedersammlers, der sich auch mit den Weihnachtsspielen eingehend beschäftigt 
hat, wird der sogenannte „Christumzug“" noch jetzt hier und da dargestellt, 
in Steinbach wird das „Hirtengespräch“ alljährlich aufgeführt, „Bescherungs- 
spiele“ nach Art der Lausitzer Adventsumgänge sind in der Gegend von 
Grünhainichen, Olbernhau und Zöblitz noch üblich; dazu kommen die Lößnitzer 
und Liebenauer Christspiele. Dr. Müller hat selbst 6 Stücke gesammelt, 
außerdem hat er 9 volle Stücke aus dem Nachlasse Mosens in seinem Besitze. 
Hoffentlich kommt er bald dazu, diesen reichen Stoff wissenschaftlich zu 
bearbeiten. 
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Wenn ich auch auf dem mir zuge- 
wiesenen engen Raume nur flüchtige Umrisse bieten konnte, hoffe ich doch gezeigt 
zu haben, daß auf diesem Gebiete in unserem Sachsen noch viel zu thun ist, 
und daß es sich wohl lohnt, diese volkstümlichen Überlieferungen zu sammeln. 
Mögen sich recht viele fleißige Mitarbeiter finden! Hier kann jeder mithelfen, 
Jung und Alt, Gelehrte und Ungelehrte. Nur sei auch hier die Bitte aus- 
gesprochen, diese Erzeugnisse des Volks ohne jede Verbesserung und Ver- 
schönerung wortgetreu, wie sie im Volksmunde leben, aufzuschreiben. Die 
Zeit ist vorbei, wo man die Volkslieder aufputzen und verschönern zu müssen 
glaubte. Das war die Zeit, wo man die Volksdichtung ebenso überschätzte, 
wie man sie vorher unterschätzt hatte. Jetzt ist man zu einer unbefangenen, 
gerechteren Würdigung gekommen. Man hat eingesehen, daß die bescheidene 
Volksdichtung nicht mit den unsterblichen Meisterwerken unserer großen 
Dichtergeister wetteifern kann; aber auf ihrem beschränkten, kleinen Gebiete 
behauptet sie mit Ehren ihren Platz, wie die bescheidene Feldblume neben 
der farbenglänzenden, stolzen Gartenblume. Und wie ein Mensch von ge- 
sundem Sinne sich nicht nur freut an farbenprächtigen Rosen und duftenden 
Hyacinthen, sondern auch an den einfachen Blumen auf Wiese und Feld, so 
kann man auch an diesen dichterischen Erzeugnissen des Volks sein herzliches 
Wohlgefallen empfinden. Denn sie haben nicht nur ihren Wert als Dichtung, 
sondern sind zugleich auch eine unschätzbare Quelle für die Erkenntnis des 
Volkslebens.
	        
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