Full text: Sächsische Volkskunde.

Karl Franke: Die obersächsische Hauptmundart. 277 
Mundarten nur dem Grade nach (quantitativ) verschieden; d. h. trotz der 
vorhandenen abweichenden Schattierungen, die dem flüchtig beobachtenden 
Ohre des Fremden meist ganz entgehen, besitzen sie eine gemeinsame Grund- 
farbe und lassen sich zu einer Tonwechselgruppe zusammenfassen. 
Eine solche bilden nun auch meiner Beobachtung nach die obersäch- 
sischen Mundarten in dem von mir eingeschränkten Sinne, und zwar ist der 
Silbentonwechsel hinsichtlich der Kraft vorwiegend zweigipflig (S), der hin- 
sichtlich der Höhe zweitönig, auch dreitönig und zwar steigend-fallend 
(#A),bezügl. steigend-fallend-steigend (N); d. h.: nachdem die Stimme 
im Silbenträger (Vokal) ihre höchste Stärke, den Hauptgipfel, erreicht hat, 
sinkt sie etwas, um dann noch einmal ein wenig zu steigen. So entsteht ein 
Nebengipfel, der entweder noch in den Selbstlaut selbst, besonders wenn 
dieser lang ist, fällt, so in güt- oder in den folgenden Mitlaut (Konsonanten), 
besonders wenn dieser tönend ist, so in Kmmt — Dabei wechselt gleich- 
zeitig die Tonhöhe, welche bis zum Hauptgipfel steigt, dann aber sinkt. 
Dieses Schwanken in Stärke und Tonhöhe innerhalb der einzelnen Silbe 
giebt dem Tonwechsel eine singende Klangfarbe So wirft schon der Jeß- 
nitzer, der auf dessau-herzbergischem oder mittelsächsischem Sprachgebiete 
wohnt, dem Bitterfelder vor, daß er anfange zu singen, und kennzeichnet 
so ganz richtig Bitterfeld als mittelsächsisch-obersächsischen Grenzpunkt. 
Hinsichtlich des Tonwechsels steht das Thüringische sowie das Ost- 
und Westerzgebirgische dem Obersächsischen äußerst nahe, und auch der 
größere nördliche Teil des vogtländischen Sprachgebietes (Reichenbach, 
Plauen) weicht nur ganz gering von letzterem ab. Mir ist nur folgender 
Unterschied aufgefallen: Der Vogtländer spricht die am stärksten betonte 
Silbe des Satzes in verhältnismäßig höherer Stimmlage als der Ober- 
sachse. Während letzterer nämlich die schwächer betonte, der Hauptsilbe des 
Satzes vorausgehende Silbe ungefähr in der Terz spricht, um bei der Haupt- 
silbe selbst in die Quinte überzugehen, springt der Vogtländer von der Terz 
in die Oktave über. So in: Ja freilich. Im südlichen Teile des Vogt- 
landes, etwa von Schöneck an, nähert sich der Tonwechsel schon etwas dem 
ostfränkischen. 
Der zweigipflige Silbentonwechsel scheint mir der hauptsächlichste Grund 
zu sein, weshalb im Obersächsischen das Sprechtempo ein sehr langsames 
ist. Betonte einsilbige Wörter mit langem Selbstlaut erreichen häufig die 
Länge von einer Sekunde; kürzer als eine halbe Sekunde scheint mir hier 
überhaupt eine lange Silbe im gewöhnlichen erzählenden Satze nicht zu 
sein. Das alleinstchende Jä# — „Nô (nein) — „85% — Wi? — 
Nũ? (nun), erreichen sogar zuweilen eine Länge von zwei Sekunden ( ist 
hier das Zeichen des zweigipfligen Tonwechsels).
	        
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