Full text: Sächsische Volkskunde.

284 Karl Franke: Die obersächsische Hauptmundart. 
Ehe wir zur Betrachtung der Wortbildung und Wortbiegung 
schreiten, müssen wir noch einige Lautgesetze besprechen, weil sie von be- 
stimmendem Einfluß auf diese beiden Gebiete sind. 
Zunächst besitzt das Obersächsische wohl infolge der starken Betonung 
der Nebensilben und des langsamen Sprechtempos die Neigung, in Vor- 
silben wie be, ge, 2er und in Wörtern, die sich an das folgende Wort an- 
lehnen, wie z. den Selbstlaut zu wahren, und zwar hat es zuweilen in 
der Vorsilbe „ge altes mittelhochdeutsches e# auch da festgehalten, wo es 
die Schriftsprache ausgeworfen hat, so vor „m in „Gnade und „gnädig (also 
genäde). In diesen Wörtern hat auch das Vogtländische das e gewahrt:; 
sonst läßt es aber wie auch das Erzgebirgische den Selbstlaut der Vorsilbe 
nach süddeutscher Art gern fallen. In dem eine Meile nordöstlich von 
Zschopau gelegenen erzgebirgisch-obersächsischen Grenzorte Grünhainichen 
habe ich bereits khegd’ für gehängt und ksäm für gesehen gehört. 
Für das Obersächsische gilt hinsichtlich der Erhaltung des #“ in ge' 
nur die eine Beschränkung, daß von den mit (g’ und #k anlautenden Zeit- 
wörtern (Verben) und von werden“ das Mittelwort der Vergangenheit 
(Perfektpartizip), ähnlich wie auch im Vogtländischen und Erzgebirgischen, 
zuweilen noch ohne ge' gebildet wird, so gan“ für gegangen kofch für 
p-gekauft", worckn für geworden“. 
Ganz ähnlich wie bei den Vorsilben ist es bei den Nachsilben mit aus- 
lautendem Selbstlaut. 
Wie überhaupt die ostmitteldeutschen Mundarten und also auch die Ober- 
lausitzer hält das Obersächsische nicht bloß fast stets da den auslautenden 
unbetonten Selbstlaut fest, wo es das Schriftdeutsche thut, sondern es hat 
auch ihn oft noch aus mittelhochdeutscher Zeit gewahrt, während das Schrift- 
deutsche ihn fallen gelassen hat; ja zuweilen fügt das Obersächsische einen 
Selbstlaut ganz neu an. 
Das Vogtländische einschließlich der Zwickauer Mundart und das Erz- 
gebirgische werfen vielfach den auslautenden unbetonten Selbstlaut, namentlich 
das tonlose ab und weisen nur selten einen solchen da auf, wo das 
Schriftdeutsche keinen hat. 
So bilden die starken männlichen und sächlichen Hauptwörter 
den 3. Fall (Dativ) der Einzahl im Obersächsischen fast stets mit 
zen und zwar zum großen Teil gegen den schriftdeutschen Gebrauch, im 
Vogtländischen und Erzgebirgischen dagegen ohne ##“; so haben im 
Obersächsischen nicht bloß Wörter wie „Mann, Kind im 3. Falle „e“ (mane, 
kinde), sondern auch Schnee (nse), Abend (ämde), März (merdse)., auch 
Eigennamen wie „Schmidt Emite),, ferner aus derartigen Formen des 
8. Falles entstandene Umstandswörter, wie „dahéme, daheim (Dativ von
	        
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