Full text: Sächsische Volkskunde.

Karl Franke: Die obersächsische Hauptmundart. 289 
Das Obersächsische widerlegt die Behauptung mancher Mundartenforscher, 
daß Mitvergangenheit und Vergangenheit (Präteritum und Perfekt) neben 
einander in den deutschen Mundarten nicht mehr vorkämen, indem es zur 
Bezeichnung von vollendeten, abgeschlossenen Thatsachen (res perfectae), 
also in dem Sinne des lateinischen eigentlichen Perfekts, das Perfekt ge- 
braucht. So sagt der Meißner: alds x gestern na dõwln gip (oder gubp), 
pin x fasd dswé stundn gelöfn (— Als ich gestern nach Döbeln ging, 
bin ich fast zwei Stunden gelaufen). 
Namentlich wird das Perfekt auch gebraucht, um anzudeuten, daß man 
etwas nur vom Hörensagen weiß, während in der Mitvergangenheit Er- 
eignisse, deren Verlauf man selbst mit angesehen hat, berichtet werden. So 
antworten auf die Frage: „Was ist denn hier los?“ Augenzeugen: s fll e 
man um (= es fiel ein Mann um); die aber, welche später erst dazu ge- 
kommen sind: sis e man umgefaln (= es ist ein Mann umgefallen). — 
Beliebt ist auch die Umschreibung der Mitvergangenheit mit that, so: er 
däd nax släfn (= er schlief noch). — Außerdem hat das Obersächsische 
Neigung, in der starken Mitvergangenheit ü bez. ôö als Ablautsselbstlaut ein- 
treten zu lassen, so in der J-a-u-Reihe sbrun, drunk — sprang, trank, in 
der E-a--o-Reihe hulf, Sdorb — half, starb, in der ehemalig verdoppelnden 
(reduplizierenden): blüs, fül, fun, gun — blies, fiel, fing, ging. 
Das Erzgebirgische schließt sich ganz dem Obersächsischen an. 
Das Vogtländische nimmt eine vermittelnde, doch noch nicht 
recht aufgeklärte Stellung ein. 
Wie bei Luther werden im Obersächsischen auch bei und gegen 
mit dem dritten und vierten Fall verbunden, und zwar bei mit dem vierten 
Fall auf die Frage wohin für zu, so zwar bei mir sein, aber bei mix 
kommen. 
Gegen wird mit dem zweiten Fall verbunden in dem Sinne von im 
Vergleich zu, so genrn dir (Nossen, Leipzig) ist der gar nichts. 
Von allen Bestandteilen einer Mundart ist der Wortschatz am ver- 
änderlichsten; denn die Wörter wandern von einer Mundart in die andere und 
sterben hier langsamer, dort schneller ab. Daher wage ich von folgenden 
nur zu behaupten, daß sie in den meisten obersächsischen Mundarten vor- 
handen sind: 
ängrats Zulauf, viel Bewerber. 
apblatn einzelne Blätter von den Kräutern nehmen. 
aptofln ausschelten. 
ärpern Kartoffeln. 
ausfersämd (ausferschämd) sehr unverschämt. 
Wuttke, sächsische Volkskunde. 2. Aufl. 19
	        
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