298 Eugen Mogt: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres.
In unserem Sachsenlande unterscheidet sich die Feier des Christfestes
nur wenig von der in anderen deutschen Gauen. Wie hier, sind auch bei
uns Weihnachtssitten und Weihnachtsbräuche ein Gemisch von alten volks-
tümlichen Elementen und kirchlichen, die uns mit Einführung des Christen-
tums gekommen sind. Aus diesen verschiedenen Elementen hat sich im Laufe
der Zeiten das deutsche Gemüt ein Familienfest geschaffen, in dessen Mittel-
punkte die Kinderwelt steht. Wir können also gleich bei dem Weihnachts-
feste den Doppelstrom beobachten, den wir bei allen größeren Festen unseres
Volkes wiederfinden: den altnationalen und den kirchlichen. Jener ist un-
streitig der stärkere, er hat dem Feste Richtung und Nahrung gegeben, dieser
dagegen Namen und Farben.
Wenn wir von Weihnachten sprechen, so versteht unser Volk darunter
nicht nur die kurze Zeit der beiden Feiertage, wenn diese auch in dem Mittel-
punkt des Festes stehen, sondern die ganze frohe Zeit, die mit dem Nikolaus-
tage oder dem Andreasabend ihren Anfang nimmt und mit dem Epiphanias-
tage endet. Wie unterscheidet sich dieses Fest doch von seinen Brüdern, dem
Oster= und Pfingstfeste! Wo finden wir hier den heiligen Zauber, der schon
Wochen vorher die Gemüter gefangen hält und ohne den heute ein deutsches,
ein sächsisches Christfest gar nicht denkbar ist! Es ist noch nicht allzulange
her, seit unser Volk die Geburt Christi in der Weise feiert, wie wir es heute
thun, erst im Laufe der letzten Jahrhunderte hat sich das deutsche Gemüt
dieses Fest gestaltet, wie es seinem Wesen am besten behagt. Im 17., ja noch
im größten Teile des 18. Jahrhunderts hat man eine Weihnachtsfeier, wie
wir sie jetzt haben, nicht gekannt; erst seit dem Ausgange des vorigen und
Anfang des jetzigen hat sie sich allmählich entwickelt und von einem ursprünglich
eng begrenzten Raum über das ganze germanische Gebiet verbreitet.
Was hat man früher nicht alles über das germanische Weihnachtsfest ge-
fabelt! Da fand man in ihm das nordische Julfest aus der Heidenzeit wieder
und deutete unser Weihnachtsfest als ein altgermanisches Fest der Wintersonnen-
wende, indem man das nordische Jôl, den Sprachgesetzen zuwider, mit dem
agls. hvéol d. h. „das Rad“ zusammenbrachte und in dem Worte eine Beziehung
zur wiederkehrenden Sonne vermutete. Da fand man in den Lichtern des
Christbaumes bald den Glanz des neuerwachten Sonnengottes, den der eine Fro
oder Freyr, der andere Baldur nannte, bald ein altes Opfer, das dieser Gott-
heit gegolten haben soll. Da hat man Knecht Ruprecht zum Begleiter eines
altdeutschen Gottes Fro gemacht, den es in Deutschland nie gegeben, oder
zum Wädan, von dem man sich auf Grund der nordischen Eddalieder eine
ganz falsche Vorstellung erworben hatte. Und selbst der Christstollen war
als symbolisches Überbleibses des Ebers angesehen worden, der in heidnischer
Vorzeit von unseren Vorfahren zu Ehren Fros gegessen worden sein soll.
Zu solchen Phantasiegebilden konnte man nur gelangen, indem man sich über