Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres. 309
der in den Städten ein anderes Aussehen bekam, lebt hier in den modernen
Schützenfesten fort, ein kaum noch zu erkennender Sproß seiner Ahnen. Noch
in den fünfziger Jahren gab es an der sächsisch-preußischen Grenze eine Reihe
Ortschaften, wo auch das alte Maipaar noch gefeiert wurde: Ein Bursch und
ein Mädchen versteckten sich außerhalb des Dorfes im Gebüsch oder in hohem
Grase. Das war das Mai= oder Brautpaar. Um dies zu suchen, zog das
ganze Dorf unter Musik hinaus, und wenn es gefunden war, da wurde es
von der Gemeinde umringt. Die Musikanten spielten eins auf, und in all-
gemeinem Jubel wurde das Paar nach dem Dorfe geführt, wo am Abend
gezecht und getanzt wurde. Oft geschah dies unter einem im Freien auf-
gebauten Laubzelte. — Endlich sind auch noch unsere volkstümlichen Rennen
im Frühjahre ein Rest alter Maienfeste.
Um diese Sitten zu verstehen, muß etwas weiter ausgeholt werden.
Während des ganzen Mittelalters, bis tief in die Neuzeit hinein, suchte das Volk,
jede Gemeinde für sich oder mehrere zusammen, ihrer Freude an der Wiederkehr
der Maien in Volksbelustigungen Ausdruck zu geben. Wie einst die alten
Germanen im Norden Deutschlands zu Ehren der wiedererwachenden Natur
das Fest der Nerthus feierten und ihr Bild in feierlichem Zuge durch die
Lande führten, so suchten in den germanischen Niederlanden im 12. Jahr-
hunderte Geistliche, in der Neuzeit in den verschiedensten Gegenden Deutsch-
lands die Burschen das schönste Mädchen der Gemeinde aus und führten
dieses dann am 1. Mai oder zu Pfingsten in feierlichem Zuge aus dem
nahen Walde, aus der freien Natur durch die Fluren nach dem Orte, wo
ein allgemeines Fest stattfand. Jenes Mädchen nannte der Volksmund bis
in unser Jahrhundert Mai= oder Pfingstkönigin. Andernorts wurde einer
männlichen Person die gleiche Ehre erwiesen; es war der Maikönig, Maigraf
oder Pfingstkönig. Ein alter Chronist des 16. Jahrhunderts bezeichnet ihn
als „comes aestivus“ und fügt zu seinem Einzuge die Worte hinzu: „das
nennt seit alter Zeit das Volk den Sommer in die Stadt führen“. Hier
und da ist im Laufe der Zeit dieser Maikönig, als man seinen tieferen
poetischen Gehalt vergessen hatte, zur Karrikatur geworden, zu einer Stroh-
puppe, die mit grünem Laub geschmückt ist und mit der man allerlei Kurz-
weil treibt. Dann nannte man sie Laubkönig oder Pfingstlümmel und
ähnlich. In unserem Erzgebirge wurde dieser Name übertragen auf den
Hirten, der zuletzt sein Vieh im Frühjahre auf die Weide trieb, und in unserem
Pfingstesel lebt er noch heute in vielen Gegenden Sachsens fort. Wir haben
hier wieder einmal die alte Geschichte vom Hute, der schließlich in den Händen
der verständnislosen Kinder zum Spielzeug wird.
Allein man begnügte sich nicht damit, den Sommer in symbolischer Form
nach dem Orte zu holen, sondern man brachte das frische Grün des Waldes
auch selbst in die Häuser: das sind die Mai= oder Pfingstbäume, die seit