Full text: Sächsische Volkskunde.

Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 317 
Zu der Zeit, da unsere Vorfahren in der Geschichte uns in klaren 
Umrissen entgegentraten, sind sie über die Stufen kindlichen Seelen= und 
Dämonenglaubens hinaus: sie glauben bereits an persönliche Götter, die den 
Menschen bei allen ihren Handlungen zur Seite sein oder ihnen entgegenstehen 
können; sie verehren diese im Gauverbande und singen Lieder zu ihrem Ruhm 
und Preis. Wie aber das Heidentum meist tolerant gegen älteren Glauben 
ist, der ja oft die Wurzel des neuen bildet, so war es auch bei unseren 
Vorfahren der Fall: der alte Seelen= und Dämonenglaube lebte bei der 
großen Menge in alter Frische fort, auch wenn er staatlich nicht mehr an- 
erkannt wurde. Die Thatsache, daß bereits unsere heidnischen Vorfahren 
einen Aberglauben in unserer Auffassung des Wortes hatten, müssen wir 
zum Verständnis der geschichtlichen Entwickelung des deutschen Glaubens 
immer im Auge behalten. Hieraus erklärt es sich, daß auch in christlicher 
Zeit der alte Aberglaube noch in fast gleicher Uppigkeit fortwucherte. Die 
Anstürme der christlichen Heidenbekehrer galten in erster Linie dem Staats- 
glauben, der Verehrung höherer Gottheiten, und diesen haben sie auch zum 
größten Teil vernichtet, wenn sie nicht den einen oder anderen Zug christlich 
umgestalteten. Dem Volksglauben gegenüber drückten sie aber ein Auge zu, 
ja wir finden sogar im 13. und 14. Jahrhundert Geistliche, die sich an ent- 
schieden heidnischen Belustigungen des Volkes mit größter Freude beteiligen. 
So erklärt es sich, daß wir noch bei ziemlich zahlreichen abergläubischen 
Handlungen und mythischen Wesen heidnischer Volksphantasie, die sich bis 
heute erhalten haben, die Wurzel wahrnehmen können, aus denen sie hervor- 
gesprossen sind, und diese wird uns klarer, je älter die Zeugnisse sind, aus 
denen wir unsere Kunde schöpfen. Diese Nachwehen altgermanischer Volks- 
mythen und altnationalen Aberglaubens sind es, die hier besprochen werden 
sollen. Jenen starken Strom, den das Mittelter namentlich aus dem Oriente 
gebracht, und einen zweiten, den krankhafte Phantasie des Volkes während 
und nach dem 30jährigen Kriege hervorgezaubert hat, will ich nicht berück- 
sichtigen, da man hier zu leicht den Boden unter den Füßen verliert und 
die Deutung das Spiel subjektiver Phantasie werden kann. 
Wie bei allen Naturvölkern, so sind auch bei unseren Vorfahren Tod 
und Schlaf Erscheinungen gewesen, die immer und immer wieder die Seele 
bewegt und den Geist zu mythischem Schaffen getrieben haben. Mit dem 
Tode hörte alle Kraft leiblichen Handelns auf, es verließ etwas den Körper, 
das bisher seine Handlungen bestimmt, seine Glieder geleitet hatte. Das 
war das zweite Ich, das während des Lebens den Menschen begleitete, die 
Seele, die auch während des Lebens den Körper verlassen und diesem gegen- 
über bald freundlich, bald feindlich auftreten konnte. Diese Freiheit der 
Seele hatte den Menschen der Traum bezeugt, denn in dem willenlosen Zu- 
stande des Schlafes war sein zweites Ich, seine Seele, bald selbst wandern
	        
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