Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 319
Aus der Zeit, wo geschichtliche Quellen schweigen, sind die Funde in
der Erde die stummen Zeugen der Sitte und des Glaubens der Völker.
Wohl können wir im allgemeinen für diesen nur wenig erschließen, allein
die eine Thatsache steht unumstößlich fest: man gab dem Toten das mit ins
Grab, was er im Leben gebraucht, was ihm hier teuer und wert gewesen
war. Aus dieser aber spricht der Glaube an ein Leben, das dem auf der
Erde gleich war. Natürlich haben sich diese Gegenstände mit den Zeiten
geändert. Der alte Kult aber ist als tote Sitte zurückgeblieben, und wie
man im vorigen Jahrhunderte in Sachsen noch ziemlich allgemein den Toten
Geld mit ins Grab zu geben pflegte, damit sie nicht spukten, so legt man
z. B. in unserem Erzgebirge alles mit in den Sarg, womit die Leiche ge-
waschen, gekämmt, barbiert worden ist, und selbst ein Licht darf nicht fehlen.
Und Köhler weiß uns aus der Reichenbacher Gegend zu berichten, wie man
dem Toten sogar Regenschirm und Gummischuhe mit in den Sarg ge-
geben hat.
In dem Glauben an die persönliche Sonderexistenz der Seele wurzeln
ferner viele abergläubische Sitten und Gebräuche, die sich nach dem Eintritte
des Todes unter den Zurückgebliebenen beobachten lassen. Über weite
Strecken unseres Vaterlandes ist es z. B. noch heute Brauch, daß man so-
fort, nachdem ein Glied der Familie die Augen geschlossen hat, Fenster oder
Thüren öffnet, damit die Seele hinausfliege; hier und da wedelt man sie
sogar mit Tüchern weg. Stühle, Tische, Töpfe und Kannen werden umgelegt,
alles Spitze beseitigt, Uhr und Spiegel mit Tüchern verhüllt, damit die Seele
nirgends hängen bleibe oder verweile. Ist der Hausherr gestorben, dann
geht man zu den Tieren im Stall, zu den Bienen im Stock, zu den
Bäumen im Garten und kündet diesen Wesen und Dingen feierlichst den Tod
des Herrn an, damit sie nicht auch dem verstorbenen Hausherrn folgen.
So lange die Leiche nicht unter der Erde ist, wird alles in ihrer Um-
gebung sorgfältig beobachtet, denn man glaubt, daß sich die Seele noch in
der Nähe ihres Körpers befinde und den Zurückbleibenden einen Blick in
ihre eigne Zukunft gewähre: ändert sich das Gesicht des Leichnams wenig,
so holt der Tote bald einen aus der Familie nach; wenn zuerst der Leichen-
zug einem Manne begegnet, so ist der nächste Tote ein Mann; fällt eine
Person unversehens ins Grab, so stirbt sie bald und dgl. Auch die all-
gemein übliche Sitte des Leichenschmauses hat in dem Seelenglauben ihren
Ursprung. Aus älteren Quellen, die bis ins 9. Jahrhundert zurückgehen,
erfahren wir, daß diese Leichenmahle zu Ehren der Toten stattfanden und
daß man sich bei ihnen gewissermaßen den Verstorbenen gegenwärtig dachte.
Daher wurde ihm ein besonderer Platz gedeckt und es wurden dorthin Speisen
und Getränke gestellt, die er im Leben gern genossen. Die sogenannten
Opfersteine mit ihren Körnerspenden, die man in verschiedenen Gegenden