320 Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen.
Deutschlands in der Nähe alter Begräbnisstätten gefunden hat, lassen ver-
muten, daß wir hier Überreste solcher alter Totenmale haben. Je mehr bei
diesen Schmäusen gegessen und getrunken wird, desto mehr Ehre ist es für
den Toten. Noch in unserem Zeitalter pflegte man in der Pfalz zu sagen,
wenn es bei einem Leichenmahle hoch herging: „das kommt dem Toten
zu Gute“.
Das Totenmahl war nach heidnischem Glauben eine der Pflichten, die
man der Seele des Abgeschiedenen schuldig war, wenn sie Ruhe haben sollte.
Zu diesen Pflichten gehörten auch die andern obenerwähnten Bräuche. Doch
gingen neben diesen Rücksichten auf den Toten noch andere einher, Rück-
sichten auf die Zurückbleibenden. Denn fand der Tote im Grabe keine
Ruhe, so machte er den Ort, wo er einst gelebt, unsicher, er ging um, er-
schien als Gespenst bald in dieser, bald in jener Gestalt. Welche Gegend
unseres Vaterlandes hat nicht die eine oder andere Gespenstersagel Bald
erscheinen die Toten in der Gestalt, die sie während des Lebens gehabt
haben, bald als weiße Frauen, bald als feurige Tiere, als Tiere schlechthin,
besonders als Hunde. In der Regel haben die Umgehenden während ihres
Lebens Frevelthaten begangen, die nicht gesühnt worden sind; das Wieder-
erscheinen gilt als Strafe, als Unglück. Die Gespenstermythen besitzen daher
für unser Volk einen gewissen sittlichen Wert; es spricht zum Teil aus ihnen
der altgermanische Sinn für Recht und Ehrlichkeit. So ist ziemlich all-
gemein der Aberglaube verbreitet, daß der Geizhals, der Geld vergraben hat,
nicht eher Ruhe findet, als bis einer der Überlebenden den vergrabenen
Schatz gefunden hat. Ebenso gehen nach dem Tode umher die den Grenz-
stein verrückt haben, ja in einzelnen Gegenden will man sie sogar mit diesem
auf dem Rücken gesehen haben. Auch Selbstmörder finden im Grabe keine
Ruhe, ferner Sonntagsschänder, Diebe, die die Gastfreundschaft mit Füßen
treten, die leidenschaftlichen Hang zur Jagd, zum Tanz haben. Daneben
spuken die Seelen derer, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind: wo“
ihre Seele den Körper hat verlassen müssen, an den Stätten des Unglücks
treiben sie ihr Wesen. In diesen Kreis von Gespensteraberglauben gehören
auch die Sagen von den Irrwischen oder Irrlichtern, die der Volksglaube
vielfach als Seelen ungetaufter Kinder auffaßt: in feuriger Gestalt zeigen
sie sich besonders in Sümpfen, auf feuchten Wiesen, an Kreuzwegen; sie
leuchten, wie man in der Lausitz erzählt, in der Finsternis einem voran,
wenn man ihnen Geld giebt, sie führen aber auch oft vom rechten Wege ab,
springen dem Menschen auf den Rücken und werden gar handgreiflich, wenn
man sie neckt oder höhnt. Mit dem Geister= und Gespensterglauben hängen
dann aufs engste die vielen Schatzsagen zusammen. Die Gespenster wissen,
wo die Schätze in der Erde liegen, und nicht nur die, die während ihrer
Lebzeiten selbst solche verborgen haben. Ungemein zahlreich sind im Erz-