324 Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen.
schuß, Hexenkraut u. a. lebt er in der Sprache auch der Gebildeten fort.
Wort und Glaube sind alt. Schon in den ältesten althochdeutschen Glossen
findet sich hagazussa als Übersetzung des lateinischen furia. Das Wort
bedeutet seiner Etymologie nach wahrscheinlich „Waldweib, Walddämon“,
denn wie die Hexen nach vielverbreitetem Glauben auf die Blocks= oder Brocks-
berge reiten, so sammelten sie sich in früherer, heidnischer Zeit im Walde
und trieben hier mit Wölfen und andern Ungeheuern ihr Wesen.
Nicht immer sind die Hexen Seelen lebender Frauen; diese sterben
ja nicht mit dem Körper, sondern leben fort und treiben auch dann noch
ihr menschen= und tierschädigendes Handwerk. Daraus erklärt es sich,
daß zur Zeit der Hexenprozesse gestorbene oder hingerichtete Frauen, die
man für Hexen gehalten hatte, noch besonders verbrannt wurden, da
Verbrennung des Körpers der Seele die Kraft raubte, nach dem Tode
noch ihrer Beschäftigung nachzugehen. Zu jeder Zeit hat daher das Volk
von den Hexen eine doppelte Auffassung gehabt. Einerseits sah man in
diesen Wesen lebende Frauen, die während des Schlafes ihre Seele umher-
schweifen ließen und den Mitmenschen schadeten, andererseits Geister Ver-
storbener, die namentlich zu bestimmten Zeiten in der Luft ihr Wesen trieben.
Die letzteren sind es besonders, die in unserm Aberglauben noch fortleben.
Die Schüsse in unserm Gebirge und in manchen Gegenden des Tieflandes,
die man zur Walpurgisnacht und zur Neujahrsnacht vernimmt, sollen die
Hexen vertreiben; hier und da, wie in der Zwickau-Lugauer Gegend, wird
auch bei Hochzeiten zu demselben Zwecke geschossen, eine Sitte, die in anderen
Gegenden Deutschlands ziemlich verbreitet ist. Die Johannis-, Walpurgis-
und Osterfeuer werden ebenfalls entfacht, um jene Unholde abzuwehren, und
noch heute verscheucht der Bursche in der sächsischen Schweiz durch den
Schein seiner Fackel die bösen Hexen. Alle möglichen Schutzmittel gegen sie
werden auf der Schwelle des Hauses oder Stalles oder an der Thür an-
gebracht. Selbst in Großstädten wie Leipzig habe ich das abwehrende Hufeisen
vor der Hausthür gesehen, und an dem Thore des Schlosses Kriebstein sind
wie anderen Orts Eulen angenagelt, die den bösen Geistern den Zutritt
wehren sollen. Am Oster= oder Pfingstmorgen werden noch mehrfach grüne
Zweige, besonders Tannenzweige in dem Stall aufgehängt oder auf den
Düngerhaufen gesteckt (Lausitz), um dadurch, wie es z. B. in Sayda heißt,
die Tiere vor den Hexen zu sichern. Unter kirchlichem Einflusse sind dann
an Stelle jener altheidnischen Abwehrmittel die drei Kreuze getreten, und
ihnen hat sich der aus dem Morgenlande eingewanderte Drudenfuß, das
Pentagramm, zur Seite gestellt. Auch Frühlingskräuter und die Asche der
Notfeuer schützte einst das Vieh vor Behexung; heute ist an ihre Stelle das
Bockaer Kräuterpulver getreten, das man in einigen Gegenden des Erzgebirges
den Tieren am Ostermorgen vor Sonnenaufgang einzugeben pflegt. Haben