Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 329
daß leidenschaftliche Weidmänner oder harte, grausame Vorgesetzte oder
Sonntagsschänder die Anführer der wilden Jagd seien, die nach dem Tode
keine Ruhe finden oder ob ihrer allzugroßen Leidenschaft ihre Beschäftigung
forttreiben müssen. Aber auch historische oder saggeschichtliche Gestalten hat
der Volksglaube zu Führern dieser Verstorbenen gemacht. So treffen wir
fast in dem ganzen Gebiete östlich der Elbe den Ban= oder Berndietrich,
d. i. Dietrich von Bern, als Nachtsjäger an. Man will ihn in der Lausitz
gesehen haben, wie er seinen eigenen Kopf unter dem Arme trug. In
einigen Gegenden unseres Vaterlandes, so in dem Schönecker Walde, ver-
folgt der wilde Jäger auch ein weibliches Wesen, das im Volksmunde bald
ein Moos-, bald ein Holzweibchen sein soll. In diesen Erzählungen scheinen
wir eine jener ätiologischen Mythen zu haben, zu denen Ortsbezeichnungen
oder Wörter die Veranlassung gewesen sind. Schon in altdeutschen Quellen
tritt uns das Wort „windesbrat“ entgegen, das bis heute in unserem
„Windsbraut“ fortlebt. Wahrscheinlich hängt der zweite Teil dieses Wortes
mit „brausen“ zusammen, das Wort bedeutet demnach „Windesgebraus“.
Die Volksphantasie hat aber brat mit unserm „Braut“ zusammengebracht
und dann die Mythe gebildet, der Winddämon verfolge ein weibliches
Wesen, das sich ihm zu entziehen suche. In Breitenfeld im Vogtlande
hat das verfolgte Holzweibchen einst zu einem Bauer seine Zuflucht ge-
nommen, der es vor dem wilden Jäger unter die Egge versteckt hat. Zum
Dank für die Errettung hat es dem Bauern die Taschen voll Laub gesteckt,
das sich sehr bald in goldene Blätter verwandelt hat. Anderenorts will man
gesehen haben, wie der Jäger das Weib gefangen und an der Seite seines
Rosses fest gebunden hatte.
Es ist vielfach die Ansicht verbreitet, daß alle diese Sagen vom wilden
Jäger Überreste alter Wodansmythen seien und daß in diesem Jäger der
altgermanische Windgott fortlebe. Diese Auffassung ist schon deshalb nicht
haltbar, weil wir die gleichen Mythen auch bei anderen nichtgermanischen
Völkern in derselben Uppigkeit wiederfinden. Ich erinnere nur an die grie-
chische Hekate, die im Winde mit ihren dämonischen Hunden durch die Lüfte
fährt, und an die italische Diana, die mit ihren Frauenseelen nächtlicher
Weile erscheint und die sich von römischem Gebiete auch auf germanischen
Boden geflüchtet hat. Nicht die Wurzel unserer Sagen vom wilden Jäger
sind daher die alten Wodansmythen, sondern es sind nur Parallelmythen:
aus gleicher Wurzel, nämlich aus dem Glauben an das Fortleben der Seelen
im Winde und ihrer dämonischen Führer, sind einerseits die Mythen vom
altgermanischen Windgott entsprossen, andrerseits die vielgestaltigen Volks-
sagen mit ihrem ethischen und pädagogischen Beiwerk. Und auch in der Frau
Holle und Perchta sollte man nicht mehr die altgermanische Göttin Frija
suchen. Was in unserm Vogtlande die Heinchen sind, die die Perchta auf