Full text: Sächsische Volkskunde.

Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 331 
in dem lebendigen Glauben unserer Vorfahren an ein Fortleben der Seele 
im Berge. 
Ein weiterer Aufenthaltsort der Seelen sind die Gewässer: Quellen, 
Brunnen, Flüsse, Teiche. 
Ebeso alt wie die Zeugnisse der Bergverehrung sind auch die der Wasser- 
verehrung. Flüssen pflegten die alten Germanen sogar Menschenopfer zu 
bringen, und aus ihnen wie aus Quellen und Brunnen weissagten weise 
Frauen. Noch heute werden bei uns vielfach Brunnen und Quellen, besonders 
zur Pfingstzeit, von den Mädchen mit Blumen und jungen Sträuchern ge- 
schmückt, und in manchen Orten gehen die Mädchen stillschweigend am Andreas- 
oder Weihnachtsabende zum Brunnen, in dem sie das Bild ihres zu- 
künftigen Gatten zu schauen suchen. Die Chemnitzer Rockenphilosophie erzählt, 
daß im Erzgebirge die jungen Mädchen den Wassergeistern die ersten Spitzen 
weihten und von ihnen Gedeihen für ihre fernere Arbeit erflehten. Ob es 
heute noch der Fall ist, habe ich nicht erfahren können. Der alte Glaube, 
daß die Seelen im Wasser fortleben, hat auch das Ammenmärchen entstehen 
lassen, daß die Kinder aus Teichen oder Brunnen kämen und daß sie der 
Storch bringe. Besonders in Hessen und Franken haben wir eine Anzahl 
Hollenteiche, wo Frau Holle die Seelen der neugeborenen Kinder hütet, und 
auch bei uns haben viele Dörfer ihren Kinderbrunnen. Aus Teichen und 
Brunnen aber holt der Storch die Seele, die sich nun mit dem Körper 
vereinen soll. Der Storch am Weiher, der dem Froschfange nachgeht, mag 
zu solchem Kinderglauben die äußere Veranlassung gegeben haben. 
Wie schon wiederholt angedeutet war, treiben die Geister in der Luft 
in der einen Zeit des Jahres ihr Wesen mehr als zur anderen, und ganz 
besonders sind es zwei Jahreszeiten, in denen sie ärger denn sonst sind: bei 
Beginn des Hochsommers und vor allem um die winterliche Sonnenwende. 
Die Tage am Schlusse des Jahres waren unseren Vorfahren Geistertage, 
und an ihnen fand das große Totenfest statt. Wir nennen diese Tage die 
Zeit der Zwölf Nächte. Diesen Ausdruck hat uns die Kirche aus Griechen- 
land über Rom gebracht und bezeichnete damit die Zeit zwischen dem 
Jesusgeburts= und dem Erscheinungsfeste. Unser Volk nennt diese Tage im 
Vogtlande „Unternächte" d. h. Zwischennächte, vom Erzgebirge bis in die 
Lausitz Lostage d. i. Schicksalstage. Diese Tage sind im Volksglauben die 
wichtigsten des ganzen Jahres. Und was das Volk an ihnen denkt und 
thut, hängt mehr oder weniger mit altem Seelenglauben zusammen. An 
ihnen braust der wilde Jäger mit seinem Gefolge vor allem durch die Lüfte, 
an ihnen erscheint Frau Holle den Kindern oder bestraft Frau Perchta die 
faulen Spinnerinnen, an ihnen werden drei Kreuze an Stall und Thor an- 
gebracht, damit die herumziehenden Hexen Menschen und Tier nicht schaden. 
In dieser Zeit läßt man vielenorts auch Speise auf dem Tische während der
	        
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