332 Eugen Mogk: Aberglaube und Bolksmythen.
Nacht stehen, damit, wie es in Sehma heißt, die Abgeschiedenen davon ge-
nießen können. In der Annaberger Gegend reinigte man sogar die Tenne
in der Scheune, damit die Geister in der Mitternacht des Christfestes dort
tanzen oder ihre Mette abhalten könnten. Ihnen zu Ehren werden auch
gewisse Speisen genossen, von denen sie natürlich ihren Anteil erhalten.
Ganz besonders sind aber die Zwölf Nächte die Tage der Weissagung und
geben sich auch dadurch als echte Geistertage kund. Die Seelen der Ab-
geschiedenen sind es, die nach altgermanischem Glauben die Zukunft der
Menschen vorauswissen und die sie diesen mitteilen können. Es ist daher
vieler Menschen Streben, die Sprache der Geister zu verstehen. Das weib-
liche Geschlecht, alte Frauen wie junge Mädchen, strebt vor allem darnach.
Durch den Zauber vermögen sie die Geister zu locken und sie zu zwingen,
ihnen Rede und Antwort zu stehen. Die Weissagungen wurden daher einst
in erster Linie bei Todesfällen und in den Tagen der Geisterumzüge ge-
trieben. Heute ist dieses alte Fragen nach dem Schicksal zum unschuldigen
Zeitvertreib junger Mädchen und der Kinder geworden, das besonders am
Andreas-, Christ= und Sylvesterabend die Stunden kürzt. Bald wird aus
einem Erbschlüssel Blei gegossen, bald werden Apfelschalen oder Pantoffeln
geworfen, bald Thonkügelchen mit beschriebenen Zetteln ins Wasser geworfen,
bald Nußschalen mit brennenden Lichtern auf das Wasser gesetzt und anderes
mehr. Nicht wie einst will man heute bei solchen Versuchen die Summe
der Ereignisse des künftigen Jahres erfahren, sondern es herrscht in diesen
Schicksalsfragen ein gewisse Einseitigkeit: ob man sich im nächsten Jahre
verheiraten werde und was der Geliebte seinem Berufe nach ist, das ist in
der Regel der Angelpunkt dieser Schicksalsfragen. Zuweilen freilich sucht
man auch zu erkunden, ob man das nächste Jahr am Leben bleiben, ob man
den Aufenthaltsort ändern, ob man Glück oder Unglück haben werde. Die
Orakelfragen der Männer schwinden jetzt mehr und mehr bei unserem
Volke. Kaum daß man noch hier und da am Sylvesterabend 12 Näpsfchen
mit Salz auf den Tisch stellt, um zu erfahren, welches die feuchten und
welches die trockenen Monate des neuen Jahres sein werden. — Neben
diesen Schicksalsfragen spielt aber noch heute in unserem Volksglauben die
Beobachtung der Natur und der Erscheinungen während der Zwölf Nächte
eine hervorragende Rolle. Auch durch sie erfährt man die Zukunft, nur
werden hier die Geister nicht wie bei dem Lose gefragt und um Auskunft
angegangen, sondern sie offenbaren dem Menschen sein Geschick aus freiem
Antriebe. Was in den Zwölf Nächten geträumt wird, geht in Erfüllung;
wenn in diesen Tagen heftiger Wind weht, giebt es ein fruchtbares Jahr;
wenn die Obstbäume viel Schnee tragen, wird viel Obst; tropft es in dieser
Zeit nicht von den Dächern, so geben die Kühe wenig Milch und dgl. So
sind durch den Seelenglauben der Zwölf Nächte zu Schicksalstagen geworden,