338 Johannes Walther: Sprache und Volksdichtung der Wenden.
ehe das ausschließlich wendisch denkende, zu Hause ausschließlich wendisch
sprechende Kind nur mit einigem inneren Verständnis am Unterrichte teil-
nehmen kann.
Es lassen sich äußerst lächerliche oder vielmehr recht traurige That-
sachen anführen, was da aus deutschen Worten, Versen, Bibelsprüchen im
Munde des papageiartig hersagenden Kindes wird. Ein Beispiel genüge.
Einer meiner Bekannten frug 10 und 11jährige Kinder in der Nähe von
S. was in der Schule gelehrt worden sei. Er erhielt allen Ernstes die
Antwort: wot njebjeskeho konja, d. h. vom himmlischen Pferde! Von
dieser Institution hatte mein Freund trotz seines Schwabenalters noch nichts
gehört; durch Kreuz= und Querfragen nach diesem wunderbaren Tiere erfuhr
er endlich, daß der Lehrer von „der Himmelfahrt“ doziert hatte. Die Kinder
verstanden Himmelpfard und legten sich nun ein njebeski kön zurecht. Sa-
pienti sat! Anders unser sächsisches Volksschulgesetz. In richtiger Be-
tonung des pädagogischen und des deutschnationalen Standpunktes ordnet
es an, daß auf der Unterstufe in allen Disziplinen mit Hilfe der wendischen
Muttersprache unterrichtet wird, daß die Kinder allmählich zum nötigen Ver-
ständnis und Gebrauch der deutschen Sprache fortschreiten und daß der fürs
Leben anzueignende Besitz von Kernliedern und Bibelsprüchen von jedem
Kinde in seiner Muttersprache, also von den deutschen Kindern deutsch, von
den wendischen Kindern wendisch gelernt werde. Daß dies unser vater-
ländische Gesetz für utraquistische Schulen geschickte, gewissenhafte und treue
Lehrer voraussetzt, liegt auf der Hand, daß aber unter solchen ganz Treff-
liches geleistet wird, daß unter solchen Lehrern die Kinder beider Volks-
stämme bald eine gewisse bemerkenswerte Elastizität und Beweglichkeit im
sprachlichen Ausdruck erlangen, daß solche Lehrer fürs Leben wirken, das ist
von einsichtsvollen Bezirks= und Ortsschulinspektoren und von hunderten
von Eltern und Kindern oft bestätigt worden. In der Kirche erbauen sich
beide Nationalitäten, schiedlich, friedlich, in gesonderten Gottesdiensten, welche
sich am Sonntagmorgen unmittelbar folgen, während eine Verbindung beider
Nationalitäten in einem Gottesdienste, in dem wendischer und deutscher Ge-
sang und Predigtwort mit einander wechseln, wie man es zum Teil hier
und da in Preußen hat, begreiflicherweise keinen Teil der Gemeinde be-
friedigt. Der Konfirmanden-Unterricht findet allenthalben in Sachsen für
die Kinder jeder Nationalität gesondert in ihrer Muttersprache statt und nach
letzterer bestimmen sich auch die kirchlichen Kasualien für die Beteiligten. Außer
Zweifel steht, daß diese Verhältnisse und Anordnungen den Geistlichen zwei-
sprachiger Gemeinden besonders große physische und psychische Anstrengungen
auferlegen. Allein die Treue, mit der diese den Forderungen des seelsorge-
rischen Gewissens und den Bedürfnissen ihrer deutschen und wendischen
Parochianen gerecht werden, hat auch ihren inneren Lohn in dem zumeist