Full text: Sächsische Volkskunde.

Johannes Walther: Sprache und Volksdichtung der Wenden. 345 
der Entstehung zu. Während die auf uns gekommenen Bibelübersetzungen 
und religiösen Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert für das Wort 
Herr immer Knjez setzen, kommt in den Volksliedern häufig das ältere Wort 
pan und pani für Herrin vor; der Ubelthäter heißt in den genannten 
Schriften 2léstnik, während in den Volksliedern das ältere zlodzij von der 
alten Wurzel dzec, thun, vorkommt. Die borta, eine hohe Frauenkopfbedeckung, 
ähnlich der bei den altenburgischen Wenden früher gebräuchlichen Hormt 
oder Hurmt, welche seit langen Jahrzehnten im Wendenvolk nur noch als 
Brautschmuck hier und da getragen wird, wird als tägliche Kopfbedeckung 
genannt, ein Zeichen, daß das betreffende Volkslied einer eben so verklungenen 
Zeit angehört, wie jenes, in welchem die Sechsstädte der Lausitz noch eine 
mächtige Rolle spielen. 
Bemerkenswert ist, daß das Volk selbst seine Lieder in gewisse Gattungen 
teilt; derartige Gattungen sind die ptezpolna, Feldlieder, zu denen auch 
die längeren balladenartigen und elegienartigen Lieder gehören; bröncka, 
Gesetzchen, die der Bursche seiner Erwählten auf dem Tanzboden aufspielen 
läßt, wozu die um das Paar stehenden Burschen den Text singen; weiter 
kwasne spewy, Hochzeitslieder; podkerluse, Legenden biblischen oder ähnlichen 
Inhalts, womit die Zahl der Gattungen, die das Volk selbst unterscheidet, 
noch nicht erschöpft ist. 
Das Metrum ist verschieden und zwanglos, manchmal wechselnd in ein 
und demselben Lied, der Reim wird nicht gesucht und kommt mehr zufällig 
vor, die Strophen sind meist zweizeilig. Die Melodieen oft an alte Kirchen- 
tonarten anklingend oder original, können dreist den besten deutschen Volks- 
weisen an die Seite gestellt werden. Der Vortrag ist ein langsam-feierlicher; 
durchgehend wird mit tremulierender Stimme gesungen, indem die erste Zeile 
der Strophe decrescendo und morendo endet und die zweite mit einer ge- 
wissen Hast korte anschließt. Eigentümlich ist dem Vortrag auch der will- 
kürliche häufige Gebrauch von a oder ha: und, oder des Dativi ethici 
mi, ci, nam, wam, mir, dir, uns, euch, welche überall eingeschoben werden, 
felbst zwischen Substantiv und Adjektiv, oder Demonstrativum und Sub- 
stantivum: z. B. Ha Sla je mi Hilzièka trawièku zZnjec, Ha tfi mi te 
hodzinki do beloh' dnja. Und Hilzka das Gräschen zu schneiden mir ging 
— und Stündchen mir drei vor dem lichtweisen Tag. Doch läßt sich nicht 
leugnen, daß diese Einschiebsel dem Vortrag etwas echt Volkstümliches und 
Warmes geben, zumal in der beständigen Verbindung mit den Deminutiven, 
welche das Sorbische nicht nur vom Substantivum, sondern auch von jedem 
Adjektivum und vom Verbum bildet; ja Demunitiva von Demunitiven sind 
nichts Seltenes. 
Wenn wir den Vortrag der wendischen Volkslieder erwähnten, so treten 
wir damit ein in den Kreis der Sänger und Sängerinnen und fragen uns
	        
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