M. Rentsch: Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. 357
folgedessen hat man die drei Saiten nicht an den beiden Seiten der Schnecke
befestigt, sondern die Wirbel werden von oben nach unten durchgesteckt. Der
Ton ist scharf und schreiend. — In der Muskauer Heide bedient man sich
bei Hochzeitsfesten einer kleineren Geige, die deshalb kwasne huslicki (kleine
Hochzeitsgeige) genannt wird. Neben Dudelsack und dreisaitiger Geige giebt
es noch die tarakawa, ein Holzblasinstrument, der Oboe ähnlich. Aus
Buchenholz gefertigt, mit Messingringen umgeben, hat sie 13 Spiellöcher,
von denen 9 in einer Linie stehen, 4 seitwärts angebracht sind. Ihr Ton
ist ein gellender, durchdringender. — Das Hackebrett (cymbal) ist nicht mehr
im Gebrauch; dafür sind die moderne Mund= und Handharmonika sehr auf-
gekommen.
Überall wo Wenden zusammenkommen, wird der Fröhlichkeit gern ge-
huldigt. Dazu bieten reichliche Gelegenheit die Spinnstuben oder Spinn-
gesellschaften.
Während Greise und alte Mütterchen oft das ganze Jahr hindurch ihr
Spinnrädchen drehen, vereinigen sich die erwachsenen Mädchen des Dorfes
zu Spinngesellschaften (pfaza, ptazy) von höchstens 12 Mitgliedern. Die
Spinnstube ist jedes Jahr gewöhnlich bei einer andern Hauswirtin. Er-
öffnet wird sie frühestens am Tage Burkhardi (11. Oktober) und geht bis
zur Aschermittwoch. In den 12 Tagen von Weihnachten bis Großneujahr
wird nicht gesponnen, weil das Garn sonst nicht hält und von den Mäusen
angefressen wird (man sagt: „sie spinnen sich Ratten und Mäuse ins Haus").
In der Regel giebt es zwei Spinnstuben im Dorfe: eine für die Bauern-
töchter, eine für die Dienstmädchen.
Die feierliche Eröffnung wird bei den Wohlhabenderen dadurch begangen,
daß die Hausmutter den Teilnehmerinnen eine gebratene Gans oder ein
anderes Gericht Fleisch vorsetzt, wofür diese Sonntags nachmittags beim
Federschleißen behilflich sein müssen. Der Spinnabend dauert von 7—11 Uhr;
Sonnabends fällt er aus oder wird verkürzt, was man pol ptazy (halber
Spinnabend) nennt. Wenn man eifrig Spille und Rädchen gedreht und die
Fäden aus dem goldgelben Flachsrocken, der mit schönen, bunten Bändern
umwunden ist, gezogen werden, so vertreibt man sich die Zeit durch Singen
von Liedern. Neben Gesangbuchsliedern ist es hauptsächlich das Volkslied,
das hier seine eigentliche Heimstätte hat. Eine alljährlich gewählte Vor-
sängerin (kantorka, zanoserka) hat die Gesänge anzustimmen und zu leiten.
Ihr liegt es ob, immer für einen guten Vorrat von Texten und Melodien
besorgt zu sein und möglichst viel neue Lieder einzuüben. Außerdem werden
Märchen, Sagen und Anekdoten erzählt, Großväterchen und Großmütterchen
teilen aus ihrer Jugendzeit Erlebnisse mit oder was sie von ihren Vorfahren
überliefert erhalten haben. Der Hausvater, der in der Hölle hinter dem
Ofen der Ruhe pflegt, giebt auch sein Wort dazu.