Full text: Sächsische Volkskunde.

358 M. Rentsch: Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. 
Eine willkommene Unterbrechung des Alltäglichen bietet ein in der Nach- 
barschaft stattfindendes Schweineschlachten. Da laufen die flinken Spinne- 
rinnen unter die Fenster und „kreißen dort Wurst“ (kolbasu stonac), wie 
man es nennt, d. h. sie stöhnen, als ob sie vor Hunger nicht weiter fort- 
könnten. Dabei singen sie etwa: ae, ae, ae, kolbazel njecheece - Ii nam 
kolbazow dac, njeb’'dzemy Wascho Janka bracl ae, ae, ae, kolbaze! 
(d. h. ae, ae, ae, Würstel werdet ihr uns nicht Wurst geben, werden wir 
nicht euren Janko nehmenl!) 
Größere Festlichkeit findet dann statt, wenn es den Burschen erlaubt 
wird, die Spinnstube zu besuchen. Mit Bier und süßen Likören versehen 
reißen sie die feuchtfröhliche Gesellschaft zum heitersten Ubermut hin: man 
scherzt, singt, tanzt und springt herum im Zimmer, Hause und Hofe, bis 
die mitternächtliche Stunde herankommt. Oft kommen die Burschen auch 
uneingeladen und suchen die arglosen Mädchen zu erschrecken. Ein mäch- 
tiger Schimmel, bestehend aus weißen Tüchern, die über Siebe gebreitet sind, 
wird zur Thür hereingeschoben, vorn und hinten von Burschen regiert, ein 
Rockenstock mit Stroh bildet den Kopf. So rennt das Ungetüm an die 
Mädchen heran und neckt sie weidlich. Oder man putzt einen Großvater 
und eine Großmutter heraus; der Großvater hat ein Bund Flachs auf dem 
Kopfe, oben mit rotem und blauem Bande zusammengebunden, während der 
Flachs als silbergraues Haar herunterhängt. Die Großmutter hält einen 
Krückstock in der Hand. Man nennt dies stareho wodtic „den Alten 
führen", wozu das Pendant ist: mlodeho wockzic „den Jungen herum- 
führen". Dabei tritt ein Mädchen als Braut, ein Bursche als Bräutigam 
auf, dementsprechend gekleidet. So geht der Zug in die Häuser, wo man 
Eier, Speck, Wurst und Geld erhält. — Am letzten Spinnabend vor Weih- 
nachten wird Gericht über die Säumigen und Faulen abgehalten: von 
welchem Mädchen bekannt ist, daß es den Rocken nicht rein abspinnt, dem 
wird der Rest verbrannt. An der Aschermittwoch aber hat der witzigste der 
Burschen die Aufgabe, unter lustigen Späßen und Possen den letzten Rocken 
mit einer Ofengabel oder einem Spieß zu durchstechen, zum Zeichen, daß die 
offizielle Spinnstube ihr Ende erreicht hat. 
Es ist zweifellos, daß es bei diesen Spinngesellschaften nicht immer so 
ruhig zugeht, wie es die strenge Sitte und polizeiliche Ordnung verlangen, 
daher hat man behördlicherseits vielfach gegen sie geeifert, mitunter sie sogar 
streng verboten. Aber ihr völliges Verschwinden würde für das Volksleben 
und die Kenntnis desselben insofern einen Schaden bedeuten, als gerade die 
Spinnstube die Heimstätte alter Bräuche und Überlieferungen ist: hier er- 
innert man sich der Vergangenheit im Volkslied, in Geschichten, in Sagen 
und Märchen; hier rankt sich um die alten Erzählungen durch mündliche 
Ülberlieferung manch neuer Zweig, und so erbt sich die Vergangenheit auf
	        
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