M. Rentsch: Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. 361
geblieben; besonders das Vogtland war noch im 11. Jahrhundert von Wen-
den dicht bevölkert.
Am Johannistage reitet ein Bursche mit einer Larve von Birkenrinden,
geschmückt mit Blumen, durch den Ort. Wer den Reiter auffängt und ihn
der Blumen beraubt, dem bringt es Glück. Besonders sind die Mädchen
und Frauen begierig nach diesen Blumen.
Auch Christheiligabend, patorkica genannt, und der Sylvesterabend haben
eigene Gebräuche, z. B. an der patorkica ißt man neunerlei Gerichte, am
Sylvester und Neujahr Gerichte, welche quellen, also Hirse, Linsen u. a.
Das bringt Vermehrung des Vermögens.“)
Doch wenden wir uns nun zu den Gebräuchen und Sitten bei be-
sonderen Gelegenheiten: bei der Geburt und Taufe, bei der Hochzeit und
beim Begräbnis.
a) Geburt und Taufe.
Ist das Kind geboren, so werden ihm an manchen Orten die Händchen
in kaltes Wasser gesteckt, damit es nicht friere, sondern recht gesund werde;
sie werden ihm bis zur Taufe an der Seite fest gebunden, dann wächst es
gerade. Bald nach der Geburt werden die Kinder getauft. Ein ungetauft
verstorbenes Kind könnte ein Irrlicht werden. — Wer das Kind beschaut,
sagt zu ihm: „Gott hat dich zuerst gesehen.“ Wer das etwa weglassen
würde, der würde die Mutter beleidigen.
Geht die Hebamme (baba) Paten bitten, so hat sie in einigen Ge-
genden ein schwarzes, wenn ein Knabe getauft werden soll, und bei Mädchen
ein weißes Stäbchen in der Hand. Die Zahl der Paten ist verschieden: von
mindestens 3 steigt sie bis 12 hinauf. Haustaufen sind unbekannt, man
geht auch bei der größten Kälte in die Kirche. Treten die Paten in das
Kindtaufshaus ein, so reicht ihnen der Kindtaufsvater Bier oder Brannt-
wein zum Trunke dar. Bei der Begrüßung der Wöchnerin sagen sie: „Gott
gebe dir Glück, daß dein junges Söhnlein (Töchterlein) gesund und frisch
aufwachse; Gott gebe dir auch Glück zu deinen 6 Wochen, daß du gesund
bleibst und einen fröhlichen und gesunden Kirch= und Ausgang hältst.“ Das
Bett der Wöchnerin ist mit weißen Vorhängen umhangen. Haben die Paten
einen Imbiß an Brot, Butter und Käse eingenommen, so begiebt man sich
in die Kirche, den Täufling in einem weißen Bettchen tragend, das mit
*) Ein eigenartiger, unseres Wissens außerhalb der Wendei unbekannter Brauch ist
die „Vogelhochzeit“, welche am 25. Januar (Pauli Bekehrung) in der Weise gefeiert
wird, daß die Kinder und Hausgenossen Teller im Hofe und am Hause aufstellen, auf
welche die Eltern kleine Gaben, wie Pfefferkuchen, Brezeln, Zuckerwerk legen. Es sind
das die Gaben der Vögel, welche eine große Hochzeitsfeier an diesem Tage haben, an
artige Kinder, also von der Hochzeitstafel der Vögel stammend. Elster und Rabe (sroka
a hawron) haben Hochzeit gehalten, wozu viele Vögel geladen waren.