Full text: Sächsische Volkskunde.

380 M. Rentsch: Vollssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. 
vom Cornyböh her gezogen über das Jägerhaus bei Wilthen, dann geht er 
über den Galgenberg nach dem „Pan Dietrich", einem Berge oberhalb Taute- 
walde, wo er einmal, als er die wjérbaba (d. i. Hexe, Buschweib) verfolgte 
und diese ihm entkam, in der Wut die vielen Steine hingeworfen hat. Von 
da zieht er nach dem Hochwald (Valtenberg). Sein Kommen verkündet 
Krieg, Krankheit, zum mindesten einen Umschlag des Wetters. 
Die Sage vom nächtlichen Jäger ist ein Parallelmythus zu den deutschen 
Sagen von Wuotan, dem Gott des Windes; fast dieselben Sagen haben 
auch die Czechen und Slovenen, wie die Franzosen (chasse de St. Hubert). 
Daß der Wende jetzt noch den Wind personifiziert, geht aus der Redensart 
hervor: wéttikec hölcy zakhadteja — die Jungen des Windes, die Winds- 
buben, lärmen. 
Die pktipoldnica, die Mittagsfrau und die serpownica, Sichelfrau sind 
zwei sehr verwandte Wesen. Erstere erscheint den Leuten, die über Mittag 
auf dem Felde bleiben, meist zur Zeit der Ernte oder doch im Sommer 
und zwar bei Sonnenschein. Bei düsterem Himmel oder gar bei Gewitter 
kommt sie nicht. Sie ist eine alte, große Frau in weißer Kleidung mit der 
Sichel in der Hand. Wen sie trifft, der muß ihr Rede stehen und zwar 
eine, ja mitunter zwei Stunden lang. Man spricht mit ihr über Flachsbau 
und andere landwirtschaftliche Themata, über die viel gesagt werden kann. 
Die Sichelfrau geht auch zu anderen Zeiten als mittags über das Feld. 
Darin unterscheidet sie sich von der Mittagsfrau. 
Beide sind Feldgeister, denen die Aufgabe zufällt, die Felder zu be- 
wachen, ähnlich der deutschen Kormmuhme, Roggenweib. Bei den Ceechen, 
Polen und Russen findet sich derselbe Mythus. 
Gar manches ließe sich noch sagen z. B. über die morava, das Alp- 
drücken, über die bludniki, das sind personifizierte Irrlichter, über den 
Feuermann, der das St. Elmsfeuer repräsentieren soll, ja selbst Sonne, 
Mond, Sterne und Wolken sieht man als lebende Wesen an. Sehr groß 
ist das Gebiet des Glaubens an Hexen und Hexer. Auch eine wohlaus- 
gebildete, sinnige Faustsage besitzt das wendische Volk, den Sagenkreis vom 
Krapat, dem Rabenfürsten und Zauberer. — 
Es ist ein weites Gebiet, welches wir durchwandert haben, auf dem 
manches nur gestreift worden ist, was weiterer Ausführung bedurft hätte. 
Doch das verbot sich bei dem Umfange des Stoffes und der Knappheit 
des zugemessenen Raumes von selbst. Eines aber denke und hoffe ich wird 
man aus dem Vorstehenden erkennen, nämlich, daß die kleine wendische 
Nation in ihrem geistigen Leben einen überaus großen Reichtum an eigen- 
tümlichen Volkssitten, Gebräuchen und Anschauungen besitzt, einen Reichtum, 
mit dem sie getrost mit mancher größeren Nation wetteifern könnte.
	        
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