Cornelius Gurlitt: Die Dorfkirche. 395
stets nur ein Schiff, während es in den Stadtkirchen aus deren drei gebildet
ist. Häufig sitzt noch das alte Chor zwischen dem neuen gotischen Chor und
dem Langhause (Fig. 159). Nie aber erscheint in dieser Zeit an Pfarrkirchen
ein Querschiff. Die Kreuzesform ist durchaus auf die Bischofs= und gewisse
Klosterkirchen beschränkt. Sie verschwindet in Sachsen meines Wissens ganz
mit dem Auftreten der Prediger-Mönche, der Dominikaner und Franziskaner.
Denn diese dachten wenigstens im Anfang ihres Auftretens klar und ernst
genug, daß sie die Erfüllung des kirchlichen Zweckes, die Schaffung eines
einheitlichen Raumes für die Predigt und das Streben nach schlichter Würdig-
keit über die mystische Spielerei mit der Kreuzform stellten.
Das 15. Jahrhundert bringt die spätgotischen Formen. Langsam er-
mattet die Freude an ihnen, sie werden immer weniger sorgfältig gebildet.
Bezeichnend für die spätere Zeit des hier in Frage kommenden Bauabschnittes
ist das immer häufigere Auftreten von geraden Linien in der Zeichnung des
Maßwerkes, die immer flachere Profilierung der Fenstergewände und -Pfosten
sowie der Gewölbrippen in wenig ausgehöhlten Kehlen.
Besondere ländliche Formen sind nicht zu vermerken: die Kirchen der
Dörfer sind gleicher Gestalt mit den Kapellen der Städte. Es ist nicht die
Absicht dieser Zeilen, eine Geschichte der Spätgotik zu geben.
Von dem künstlichen Gerät jener Zeit hat sich noch sehr viel erhalten,
wenn auch nur zu oft auf den Kirchböden. Der Kirchboden ist ein viel
sicherer Aufbewahrungsraum als man wohl denkt: ein zu Anfang der
protestantischen Zeit dorthin verurteilter Altarschrein hat, wenn ihn die
Läutejungen nicht in die Hände bekommen, dort oft die dritthalb Jahrhunderte
durchgeschlummert, ohne ernstlichen Schaden zu nehmen.
Das Hauptstück des Kirchenschmuckes jener Zeit waren eben diese Schreine
Freilich wurde es im 16. Jahrhundert Sitte, die Schreine reicher Stadt= und
Klosterkirchen durch neue Altäre zu ersetzen, die alten aber armen Kirchen zu
schenken. Mancher schöne Altar in Dorfkirchen ist nicht für diese gefertigt.
Namentlich Kurfürst August liebte es Altäre aus Klöstern und Stiftern zu
vergeben. So beweisen die Altäre nichts für die Geschichte der Kirche.
In dem Schreine sind die Heiligen dargestellt, denen ihre ursprüngliche
Bestimmungsstätte geweiht war, in Gemeinschaft mit der meist die Mitte des
Schreines einnehmenden Jungfrau. In den Flügeln finden sich weitere Ge-
stalten, oft solche von nur halber Größe in zwei Reihen übereinander. Für
die bemalten Rückseiten der Flügel ist besonders die Verkündigung ein be-
liebter Gegenstand. Die Figuren sind meist in Holz geschnitzt und natura-
listisch bemalt, oft auch reich vergoldet. Sie sind gleichfalls, soweit sich dies
nachweisen läßt, Werke städtischer Meister, die deren in großer Menge hervor-
gebracht haben müssen. Denn in der Zeit von 1480—1520 füllen sich die
Kirchen mit tausenden solcher Altäre. Noch heute giebt es deren eine sehr