Full text: Sächsische Volkskunde.

O. Gruner: Haus und Hof im sächsischen Dorfe. 407 
hofe giebt, aus früherer Zeit doch fast nichts zu nennen, was uns das Heim 
unserer Bauern, ihr Haus und Hof, klar zur Anschauung brächte, und 
auch andere Quellen, wie Gesetzessammlungen, Lehrbücher der Baukunst u. s. w. 
fließen hinsichtlich unseres Gegenstandes überaus spärlich. So kommt es, 
daß unsere Kinder und Enkel, die nur Milchkuranstalten inmitten eleganter 
Häusercarrés oder Molkereien mit Maschinenbetrieb oder allenfalls modern 
bewirtschaftete Güter ohne Vieh, ohne Knechte und Mägde, ohne Dresch- 
tennen und Düngerhaufen zu sehen bekommen, sich sehr bald kein richtiges 
Bild vom echten, rechten Bauernhofe und seinem Treiben, seiner hausbackenen 
Poesie und — seinem reichen Segen redlicher Arbeit im Schweiße des An- 
gesichts mehr werden machen können. 
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen. 
Wenn dem Bauernhofe in Sachsen die ihm gebührende Anerkennung 
von ehemals zuteil werden soll, so muß man die noch erhaltenen guten 
Repräsentanten aufsuchen, im ganzen betrachten und vor dem geistigen Auge 
einen Normalhof rekonstruieren mit allen seinen charakteristischen Eigen- 
tümlichkeiten und zufälligen Nebensachen. Das ist nun freilich nicht so 
bald gethan, denn die analytische Erforschung der ländlichen Häuser und 
Gehöfteanlagen im Königreiche Sachsen bietet anfänglich ein verwirrendes 
Bild dar. Die Unterschiede sind so mannigfaltig und so grundsätzlicher 
Natur, daß es zuerst scheinen will, als würde man nie zu einem Typus 
oder zu wenigen, scharf ausgeprägten Grundformen gelangen können. 
Kennzeichen, die sonst bei der Einordnung der ländlichen Bauarten als zu- 
verlässig gelten, versagen hier; die Stellung der Gebäude unter sich und zur 
Straße, die Anordnung der Decher, gewisse Konstruktionen, nach denen sonst 
deutscher und slawischer Ursprung unterschieden wird, führen zu scheinbar 
unlösbaren Widersprüchen. Erst wenn man die Geschichte der Besiedelung, 
die Fortschritte der Kultur, den Einfluß des fremden Vorbildes, des Mate- 
rials, des Klimas, des veränderten Betriebes und wie die Faktoren, die auf 
die bauliche Gestaltung einzuwirken vermögen, heißen mögen, sich unaus- 
gesetzt vor Augen hält, dann ergeben sich gewisse Richtpunkte in diesem 
rätselvollen Chaos. Sind doch noch in neuerer Zeit recht fremdartige Ele- 
mente unseren Dörfern einverleibt worden; ich erinnere beispielsweise nur 
an die „Schwedei“ unterhalb Augustusburg, eine Ansiedelung zurückge- 
bliebener schwedischer Söldner, oder an das russische Schulhaus in Klein- 
sschachwitz, die Stiftung des Fürsten Putjatin. — Die volkstümliche Termi- 
nologie des ländlichen Bauwesens, die durch ihre Ahnlichkeit der Bezeichnung 
desselben Gegenstandes in verschiedenen Gegenden manchmal frühere Zu- 
sammenhänge nachzuweisen vermag, ist in Sachsen ziemlich unbestimmt und 
recht wenig entwickelt.
	        
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