474 K. Schmidt: Die bäuerliche Wohnung.
findlichen gerade emporsteigenden und pyramidalisch bis zum Firsten sich
verjüngenden Schornstein aus gebrannten Mauersteinen. Der Kopf dieser
kostspieligen, einer modernen Fabrikesse nicht unähnlichen Anlage ist zumeist
mit einer Blechhaube nebst Windfahne abgedeckt gewesen.
Die Altenburger Bauernstube späterer Zeit und bis zu Anfang des
19. Jahrhunderts (Fig. 225) zeigt im wesentlichen zwar dieselbe Anordnung
wie die frühere; allein die Großräumigkeit derselben wächst in demselben
Maße wie die im allgemeinen zunehmende Intensität der landwirtschaftlichen
Betriebsverhältnisse und der zunehmende Wohlstand der Bevölkerung es
erlaubte. Statt des einen Tisches früherer Zeit weist die Stube jetzt deren
drei auf. Rechts an der Stubenthür zunächst der Leutetisch für 12 Personen
Platz bietend und mit ganz bestimmter Sitzordnung. Auf der festen Bank
an der Hausflurwand zunächst der „Großenke“ (Großknecht), sodann der
Kleinenke und der Stalljunge; auf der beweglichen Bank nach der Ofenwand
zu: die Großmagd, die Kleinmagd und das Hausmädchen; gegenüber an der
Fensterwand: in der Mitte der Hausherr, zu beiden Seiten der Vorgänger
und die Hausfrau und schließlich auf der beweglichen Bank gegenüber der
Flurwand — die Kinder.
An diesem außergewöhnlich großen Tisch, über welchem krahnartig und an
zurückklappbarem Holzgestell die blecherne Rüböllampe (Fimmel) hing, ver-
sammelte sich zu Mahlzeiten der ganze Hausstand. Zur Mittags= und Abend-
mahlzeit wurde ein Tischgebet gesprochen, bei dem niemand fehlen durfte. Man
versammelte sich vor der großen Stubenthür; die Großmagd hatte das all-
gemeine Gebet anzufangen, worauf alle Ubrigen mit einstimmten. Das Gebet
nach der Mahlzeit wurde dagegen am Tische und sitzend verrichtet. Darauf trug
die Großmagd das Essen auf, der Enke begann zuerst aus der gemeinsamen
Schüssel zuzulangen, die andern folgten und mußten satt sein, wenn der Enke mit
Essen aufgehört hatte. Dieselbe einfache Kosk übrigens, welche das Gesinde
erhielt, genügte auch dem Hausherrn und seinen Familiengliedern. Eine
Ausnahme wurde nur zu besonders festlichen Gelegenheiten, namentlich aber
zu Kindtaufsschmäusen gemacht, welche nicht selten 3 Tage lang anhielten
und der Wöchnerin, welche hinter einem Bettschirm in einer Ecke der Wohn-
stube, als dem einzigen heizbaren Raum des Hauses, ihre Ruhestätte fand, recht
harte Geduldsproben auferlegte, ohne daß, wie die damaligen Berichte lauteten,
das Lärmen und Toben in der bis über Mitternacht beim Tabakqualm
schmausenden, trinkenden und spielenden Gäste ihr „sonderlich geschadet" hätte.
Der zweite Tisch gegenüber der Stubenthür an der Fensterwand links nebst dem
daselbst befindlichen roßhaargepolsterten Kanapee diente nur dem Hausherrn und
dessen Familienangehörigen zum Ruheplatz. Der dritte Tisch schließlich gegen-
über und an der Fensterwand der Hofsseite galt als Reserve= und Besuchstisch.