Full text: Sächsische Volkskunde.

Ludwig Schmidt: Die germanischen Bewohner Sachsens vor der Slawenzeit. 55 
ohne Zweifel schon länger das Gebiet zwischen Elbe, Harz, Thüringerwald 
und Erzgebirge inne. Hier erwähnt die Hermunduren zuerst Cäsar (bell. 
Gall. IV, 3, VI, 10) anläßlich seiner Kämpfe mit dem Germanenfürsten Ariovist 
(vor 58 v. Chr.), wenn auch nicht unter ihrem Sondernamen; die frühere 
Annahme, daß die Sweben Cäsars mit den Chatten identisch seien, kann 
jetzt wohl als abgethan betrachtet werden. Ihre Nachbarvölker waren die 
Semnonen?) rechts der Elbe (an welche weiter nach Südosten zu die silingischen 
Wandalen in der Oberlausitz und in Schlesien grenzten), die Cherusker im 
Norden, die Chatten im Westen, die Markomannen im Süden. Besiedelt 
waren jedoch in der Hauptsache nur die in den Niederungen gelegenen 
Distrikte; es ist also bloß ein verhältnismäßig kleiner Teil des heutigen 
Königreichs Sachsen von den Germanen bewohnt gewesen. Es folgt dies 
sowohl aus den archäologischen Funden als aus den damaligen wirtschaft- 
lichen Zuständen. 
Die Germanen hatten bei ihrem Eintritt in die Geschichte den rohen 
Zustand bloßer Jagd= und Fischervölker längst überwunden. Zwar spielte 
die Jagd noch immer eine wichtige Rolle, aber die Hauptquelle ihrer Ernährung 
bildete die Viehzucht. Doch waren sie auch kein reines Hirtenvolk; denn es 
wurde bereits Körnerbau getrieben, der freilich noch durchaus extensiv war 
und sich auf die Frühjahrsbestellung beschränkte. Eine dauernde Scheidung 
zwischen Pflug= und Weideland war nicht durchgeführt; von der ganzen 
Flur bebaute man nur einzelne Stücke in unregelmäßigem Wechsel, um sie 
nach einiger Zeit als Weideland liegen zu lassen. Der Grund und Boden 
war ursprünglich Eigentum des gesamten Volkes und den Einzelnen nur zur 
Benutzung überlassen. Zur Zeit Cäsars, der bei seiner Schilderung germa- 
nischer Zustände besonders die Hermunduren (Sweben) im Auge hat, waren 
die Gaue, die Unterabteilungen der Völkerschaft, Eigentümer des Gebietes, 
über welches der Gau sich erstreckte. Die Gauvorsteher wiesen alljährlich 
den einzelnen Geschlechtern (Sippen) Land zur Nutzung zu; es fand also 
auch jedes Jahr ein Wechsel der Wohnungen innerhalb des Gaubezirkes statt. 
Als Tacitus seine Germania schrieb (98 n. Chr.), war das Land in den 
dauernden Besitz der Geschlechtsverbände gelangt; es ist zur Ausbildung des 
Dorsschaftssystems gekommen. Ein Wechsel des Bodens fand nur noch statt 
innerhalb der einzelnen Markgenossenschaften, den aus den Ansiedelungen 
der Geschlechter erwachsenen, räumlich abgegrenzten wirtschaftlichen Verbänden, 
welche ein oder mehrere Dörfer umfaßten. Das zur Bebauung ausersehene 
Land wurde nach vorheriger Vermessung durch Verlosung unter die einzelnen 
Familienväter zur Sondernutzung verteilt; nach der Ernte wurde dasselbe 
*) Auf diese sind ohne Zweifel die im östlichen Sachsen gefundenen germanischen 
Grabstätten zum größten Teile zurückzuführen.
	        
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