Ludwig Schmidt: Die germanischen Bewohner Sachsens vor der Slawenzeit. 57
Zwischen die Jahre 8 und 3 v. Chr. fällt die erste Erwähnung des Namens
Hermunduren; damals siedelte L. Domitius Ahenobarbus einen aus seiner
Heimat aufgebrochenen, unstät umherschweifenden Schwarm dieses Volkes am
Main, im ehemaligen Markomannenlande, an. Wahrscheinlich war dieser
Zug, der denselben Weg wie einst die Markomannen genommen haben muß,
(ogl. vorher), durch innere Zwistigkeiten veranlaßt worden; denn wir hören,
daß Domitius hierauf bis an und über die Elbe in Germanien d. h. wahr-
scheinlich im Hermundurenlande vordrang, vermutlich um die Ruhe wieder-
herzustellen. Auf der großen Expedition, die Tiberius in den Jahren 4 und
5 n. Chr. zur Bezwingung der inzwischen wieder aufgestandenen Germanen
unternahm, wurde das Gebiet der Hermunduren nur gestreift; aber das
Erscheinen der Römer genügte, um jene wie auch die Semnonen rechts der
Elbe zur Unterwerfung zu bringen.
Nach dem Abzug der Legionen bildete sich unter der Vorherrschaft der
Markomannen in Böhmen, deren König der kraftvolle Marbod war, eine
große Völkervereinigung, die außer den Hermunduren die Langobarden, Sem-
nonen, Lugier (in Schlesien und in der Oberlausitz) uud einige andere nicht
mit Sicherheit bestimmbare Völker im Osten Deutschlands umfaßte, und
gegen die Ausdehnung der Machtgelüste Roms gerichtet war. Dieser Bund
bestand bis 17 n. Chr., in welchem Jahre die Cherusker unter Armin mit
Marbod in Kampf gerieten. Die Langobarden und Semnonen traten auf
des ersteren Seite, während die Hermunduren dem Markomannenkönig treu
blieben. Die große Schlacht, die vermutlich zwischen Elster und Saale statt-
fand, blieb zwar unentschieden; doch wurde Marbod genötigt nach Böhmen
zurückzugehen, wo er bald darauf seiner Herrschaft verlustig ging.') Bei den
großen Umwälzungen, die sich in den folgenden Jahren im Markomannen-
reich vollzogen, haben die Hermunduren wiederholt eingegriffen.
Zum letzten Male werden diese in den alten Sitzen im Jahre 58 n. Chr.
erwähnt, in welchem sie mit den Chatten an der Werra um den Besitz der
Salzunger Quellen siegreich kämpften. Zu Lebzeiten des Tacitus (Germania
Kap. 41) waren sie ein den Römern eng befreundetes Volk, das mit den
Bewohnern der rätischen Provinz über die Donau lebhaften Handel trieb.
Ferner heißt es, daß in ihrem Gebiete die Elbe entspringe, ein früher wohl-
bekannter Strom, den man jetzt nur noch vom Hörensagen kenne. Als ihre
östlichen Nachbarn werden die Varisten (im Fichtelgebirge) und die Marko-
mannen (in Böhmen) genannt. Diese Bemerkung über die Lage der Elb-
quelle hat zu den verschiedenartigsten Erklärungsversuchen den Anlaß gegeben,
*) Das markomannische Heer muß ungefähr in der Linie, die die heutigen Städte
Eger, Asch, Adorf, Plauen verbindet, gezogen sein. Das Erzgebirge war völlig unpassier-
bar und konnte in jener Zeit an keinem Punkte überschritten werden.