Ludwig Schmidt: Die germanischen Bewohner Sachsens vor der Slawenzeit. 59
Schlesien und der Lausitz am oberen Main auftreten. Ihnen nach zogen
wiederum die Warnen oder Weriner, die später einen Bestandteil der
Thüringer ausmachten. Es gab wahrscheinlich zwei Stämme dieses Namens,
von denen der eine in Holstein wohnte und zu den ingwäonischen Nerthus-
völkern gehörte, während der andere weiter im Osten nördlich von den Bur-
gundionen ansässig war. Die ostgermanische Herkunft der Warnen, welche
zur Bildung des Thüringerstammes beitrugen, ist namentlich durch den
Charakter ihres Rechtes gesichert. Dieser Zweig der Warnen hat nun längere
Zeit in der Ebene zwischen Mulde, Elster und Saale gewohnt; darauf deutet
der in der Zeit Karls d. Gr. für diese Gegend auftauchende Name Hwereno-
feld.) Ihre Nachbarn im Westen wurden die Angeln, von denen, wie die
Ortsnamen beweisen, ein großer Teil von ihrer Urheimat in der jütischen
Halbinsel südwärts nach Mitteldeutschland (vermutlich zur selben Zeit wie
die Langobarden) sich gewendet hatte. Aus der Verbindung dieser beiden
Stämme, die sich die in den alten Sitzen zurückgebliebenen Reste der Her-
munduren unterwarfen, sind die Thüringer entstanden: die Bezeichnung des
alten thüringischen Gesetzhuches als lex Angliorum et Werinorum hoc est
Thoringorum ohne Erwähnung namentlich der Hermunduren wird hierdurch
völlig klar. Infolge des Andringens der Awaren, in deren Gefolge sich
slawische Stämme befanden, haben dann gegen Ende des sechsten Jahrhunderts
die Thüringer-Warnen jene Distrikte geräumt und sich nach Westen über die
Saale zurückgezogen; wir finden ihre Spuren in geographischen Namen am
Main, an der fränkischen Saale und in der Gegend von Eisenach.““) Seither
erscheint das Land östlich der Saale in sflawischem Besitz)
Die Ursache der germanischen Völkerzüge ist zumeist in wirtschaftlichen
Verhältnissen zu suchen. Das nur in rohester Weise kultivierte Land nötigte
bei wachsender Volkszahl zum Aufsuchen neuer Wohnsitze. Die wirtschaftliche
Bedrängnis, welche zur Auswanderung zwang, tritt beispielsweise in der
langobardischen Stammsage deutlich hervor. Es ist daher erklärlich, daß
gewöhnlich ein Teil der Bevölkerung, einzelne Gaue in der Heimat zurück-
blieben, welche nunmehr wieder reichliche Nahrung zu bieten im stande war.
Das Gleiche ist also von vornherein bei den Germanen, die unser engeres
Vaterland besetzt gehalten haben, anzunehmen. Daß die Slawen bei ihrem
Vordringen gegen Westen nicht unansehnliche Reste germanischer Bevölkerung
angetroffen haben müssen, die mit ihnen dann verschmolzen, lehren namentlich
*) Vgl. E. O. Schulze, die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwischen
Saale und Elbe (Leipzig 1896/ S. 2.
*#) Daß die Ansicht Schulzes a. a. O. S. 3, die Warnen seien mit den späteren
Nordschwaben identisch, nicht richtig sein kann, ergiebt sich daraus, daß jene nicht zu
Sweben zählten.
*“) Vgl. Schulze S. 5, Note 2.