Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 71
adels, gestützt auf Großgrundbesitz und abhängige Gefolgschaft, der die Masse
der bäuerlichen Bevölkerung schließlich bis zur Unfreiheit herabdrückte. Zu-
letzt gelang es dann einer Familie, gewaltthätig die Ober= und Alleinherr-
schaft an sich zu reißen, und in Anlehnung an die abendländische Kultur,
unter Herübernahme staatlicher und kirchlicher Einrichtungen, eigene nationale
Staatswesen zu begründen. Den Sorben unserer Gegend blieb keine Zeit,
die soziale und wirtschaftliche Differenzierung über die Anfänge hinaus weiter
zu entwickeln und zu festigen, und dadurch einheitliche politische Zusammen-
fassung anzubahnen. Bevor es zu dauernder Absonderung einer abgeschlossenen
Adelsklasse und zur Bildung einer erblich gefestigten Fürstengewalt kam, trat
die deutsche Besitznahme des Landes ein, und die wirtschaftliche und staatliche
Entwicklung der Sorben fand durch diese Eroberung, die das ganze Volk
unter das Joch der Unfreiheit zwang, einen jähen Abschluß.
Für die Germanisierung des Landes ist es zweifellos von größter Be-
deutung geworden, daß das soziale und politische Gefüge der Sorben zu
jener Zeit noch ein so lockeres, so wenig in sich und durch nationale Ideen
gefestigtes war. Die Eroberung wurde hierdurch wesentlich erleichtert. Vor
allem aber ist es nur auf diese Weise erklärlich, daß die deutschen Ritter in
ihren über das ganze Land hin zerstreuten Sitzen sich etwa 150 Jahre lang
als Herren behaupten konnten über der Masse einer feindselig gesinnten
fremden Bevölkerung. Denn bis zum ausgehenden 11. Jahrhundert waren
sie — neben der Kirche und einigen Klöstern — die alleinigen Träger des
Deutschtums im Sorbenlande. Erst mit dem 12. Jahrhundert begann die
bäuerliche deutsche Einwanderung, die dann allerdings auch der Zahl nach dem
Deutschtum das Übergewicht gab und die völlige Germanisierung des Landes
einleitete.
B. Die deutsche Befiedelung.
Bis zur Weichsel und March und darüber hinaus erstreckte sich im
ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Gebiet der germanischen Stämme.
Sechs Jahrhunderte später konnte es fraglich erscheinen, ob Nab, Saale und
Elbe gegen das andrängende Slawentum zu halten waren.
Als Karl d. Gr. im Jahre 805 nach der Einverleibung Baierns und Sach-
sens in das fränkische Reich sich gezwungen sah, die Grenzverhältnisse hier im
Osten definitiv zu ordnen, bestimmte er Bardowieck bei Lüneburg, Scheessel
bei Celle, Magdeburg, Erfurt, Hallstadt bei Bamberg, Forchheim, Bremberg
bei Nürnberg (9)), Regensburg und Lorch als die Grenzorte, in denen unter
Aufsicht von Königsboten der gesamte Handelsverkehr mit dem slawischen
Osten konzentriert werden sollte. Diese 9 Orte bezeichnen zugleich die Lage
der „Marken", durch die der König die Grenze zu sichern suchte.
*) So Meitzen; nach andern Priemberg bei Burglengenfeld oder Pfreimt an der Nab.