Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 75
Läßt sich diese Heeresverfassung etwa bezeichnen als die Organisation des
Angriffs, so tritt ihr als Organisation der Verteidigung ergänzend an die
Seite die Burgwardverfassung. Beide stehen in innigem Zusammen-
hang, die eine durch die andere bedingt und auf sie sich stützend. — Man
hat Heinrich I. früher besonders gern als den „Städtegründer“ bezeichnet.
Nicht ganz mit Unrecht. Viele befestigte Orte, die später zu blühenden
Städten sich entwickelten, verdanken ihm Entstehung und Aufschwung. Doch
nicht hierin, in dem Bau von Festungsmauern und von Burgen, liegt das
eigentliche Verdienst Heinrichs. Gebaut und geschanzt wurde lange vor ihm,
und in Ländern, wohin sein Einfluß nicht reichte. Aber was bisher ohne
rechte Ordnung nur in Fällen der Not hier und da befohlen und gethan
war, das wurde durch Heinrich im Osten des nördlichen Deutschland zu einer
dauernden Organisation, zu einem fest geregelten System der Verteidigung
und weiterhin der Eroberung und Occupation, je mehr die Grenze des Reiches
gen Osten sich vorschob. Hierin zeigt sich der fruchtbare, schöpferische Geist
des Sachsenherrschers, mochte er sich der vollen Tragweite seiner Maßnahmen
auch vielleicht nicht bewußt sein. In den östlichen Gegenden Sachsens und
Thüringens ist die Burgwardverfassung erwachsen; in den Marken gelangte
sie zu voller Ausbildung und gab die Grundlage für den territorialen
und staatlichen Aufbau des Landes. Zunächst Einrichtungen vorwiegend
militärischen Charakters, wurden die Burgwarde, den alten Hundertschaften
und Goen des Reiches vergleichbar, die untersten Glieder des neu sich bil-
denden staatlichen Organismus. — Es waren kleine Bezirke mit bestimmter
Umgrenzung, soweit sie nicht an die Wildnis des Urwaldes stießen. Im
Sorbenlande lehnte man sich, soweit es thunlich war, bei ihrer Errichtung
jedenfalls an die Grenzen der kleinen Stammesgebiete an und benutzte auch
wohl die vorgefundenen „Grods“, die befestigten Zufluchtsstätten der einzelnen
Stämme. Der befestigte „Burgort" (urbs, civitas) bildete den Mittelpunkt.
Er bestand aus der Burg selbst, meist auf einem Bergvorsprung oder Hügel
gelegen, und der unter ihr liegenden villa (suburbium). Auch letztere war
oder wurde im Laufe der Zeit mit einer Holz= oder Steinmauer umzfestigt.
In der Burg hatte der praefectus oder custos urbis, der Befehlshaber
des Burgortes und des zugehörigen Distriktes, seinen Sitz. Die Verteidigung
lag zunächst (außer den Bewohnern des Ortes) den niederen Knechten in der
Burg und den Burgmannen ob. Es war dies die niedrigste Klasse der
Ministerialen, zum Teil zu ständigem Aufenthalt im Burgort verpflichtet,
wo ein Haus oder eine Wohnung zu ihrem Lehn gehörte.
In weiterem Kreise wurden auch die bäuerlichen Insassen des Burg-
wards zur Verteidigung herangezogen. Ihre Hauptpflicht aber bestand in
dem „Burgwerk“, d. h. in den nötigen Hand= und Spanndiensten zum Bau
und zur Besserung der Burg. Ferner mußten sie einen Teil ihrer Ernte