Full text: Sächsische Volkskunde.

Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 79 
nisse des täglichen Lebens, Nahrungsmittel und gewerbliche Produkte. Was 
ihnen an Überschuß — an „freiem Einkommen“ — verblieb, diente teils zur 
Vergrößerung des Haushaltes und zur Vermehrung der militärischen Ge— 
folgschaft, teils wurde es für Luxus-Gegenstände verausgabt, die einem ge— 
steigerten und verfeinerten Geschmack entsprachen. Für Erzeugnisse etwa, 
deren Herstellung seltene Rohstoffe oder besondere Geschicklichkeit erforderten: 
für Seltenheiten, welche die Neugier oder die Eitelkeit reizten, und für Ge- 
nußartikel entfernter Gegenden. Diesen Bedürfnissen aber wurde vollauf 
genügt durch den schon früh entwickelten Hausierhandel und durch größere 
Handelskarawanen, die von Zeit zu Zeit sich einstellten. Sie waren nicht 
umfangreich genug und nicht genug örtlich konzentriert, um die Bildung eines 
seßhaften und ständigen Handels, oder die Ausscheidung gewerblicher Berufs- 
klassen zu bewirken. 
In den Residenzen der Grafen und Bischöfe und in andern Burgorten 
mochten vereinzelt Händler, Waffenschmiede, Goldschmiede u. s. w. sich nieder- 
lassen; auch die Nahrungsmittelgewerbe der Fleischer und Bäcker werden sich 
hier neben Schankstätten und Kramläden früh entwickelt haben. 
In ähnlicher Weise wurden gewiß auch die Centren großer Grundherr- 
schaften, die Ortschaften, die an wichtigen Flußübergängen, an den An- 
fangs= oder Endpunkten der Gebirgs= und Wasserstraßen, an den Kreuzungen 
wichtiger Handelswege lagen, mehr und mehr zu beherrschenden wirtschaft- 
lichen Mittelpunkten ihrer Umgegend. (Vgl. oben S. 76). Es erwuchs in 
ihnen allmählich ein lebhafter, wenn auch unständiger Handelsverkehr und 
ein ständigeres Angebot von Lebensmitteln (Wochenmärkte). Aber im wesent- 
lichen blieb doch der Charakter auch dieser Orte zunächst, trotz der Umfesti- 
gung, ein durchaus ländlicher. Die landwirtschaftliche Produktion war auch 
hier die Grundlage des wirtschaftlichen Lebens. Zu einer eigentlichen städtischen 
Entwicklung, auf berufsmäßiger Erzeugung und Austausch gewerblicher Pro- 
dukte in größerem Umfange beruhend, konnte es in unsern Gegenden erst 
kommen, als die lberschüsse einer freien, bäuerlichen Bevölkerung eine leb- 
hafte und kaufkräftige Nachfrage nach Gewerbsartikeln ermöglichten und zu- 
gleich eine zahlreichere gewerbtreibende Schicht der Bevölkerung (in den 
Städten) mit den nötigen Lebensmitteln versorgen konnten. Das geschah 
aber erst seit der Besiedelung des Landes durch freie deutsche Bauern; erst 
seit der deutschen Kolonisation konnten deshalb gewerbe= und handeltreibende 
Städte bei uns erblühen.) 
*) Von reinen Handels-(Kauf-städten kann zu dieser Zeit, wenigstens in unserm 
Lande, keine Rede sein. Nur an der Grenze wäre Halle zu nennen, das durch seine 
Salzquellen zum wichtigen Handelsplatz wurde. — In ähnlicher Weise hätten sich vielleicht 
unsere Bergbaustädte entwickeln können; aber bekanntlich begann der Bergbau erst Ende 
des 12. Jahrhunderts.
	        
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