Die Organisation der Reichs-Staatsgewalt. 97
R. Art. 1; ferner ist seit 1. Januar 1874 dort die Reichs-
verfassung grundsätzlich und in vollem Umfang eingeführt; nur
dem Bundesrat gebhört Elsaß-Lothringen als Einzelstaat mit
Stimme nicht an, sondern wird hier nur durch beratende
Kommissare vertreten.
2. Durch den Frankfurter Frieden war das Reichsland an
das Deutsche Reich abgetreten worden. Träger der Souveränität
ist dort demgemäß die Einheit der verbündeten Regierungen.
Diese prinzipielle Grundlage hat auch heute noch keine Der-
änderung erfahren.
Durch das Gesetz vom 9. Juni 1871 wurde jedock die
Ausübung der Staatsgewalt dem NHaiser übertragen.
Diese staatsrechtliche Stellung des Kaisers fand weiterhin eine
Ausgestaltung durch verschiedene Sonderbestimmungen und ist
bheute weit davon entfernt, eine absolut-monarchische zu sein.
Aber an der prinzipiellen Grundlage ist auch hier seit 1871
keine Deränderung eingetreten: der Kaiser hat somit kraft der
durch jene Gesetzesbestimmung erfolgten Kbertragung das
Monarchenrecht im ZReichsland, wenn auch nicht als eigenes
Recht; nur insoweit durch spezialgesetzliche Vorschrift dem Ver-
tretungsorgan der verbündeten Regierungen, dem Bundesrat,
bestimmte Bobeitsrechte vorbehalten sind, besteben solche; im
übrigen ist das gesamte WMonarchenrecht auf den Kaiser über-
tragen, und aus diesem Hrinzip müssen auch alle Schluß.
folgerungen gezogen werden, so besonders bezüglich der Sanktion
der elsaß-lothringischen Landesgesetze, bezüglich der Behandlung
der vom elsaßllothringischen Landesausschuß gefaßten Zeschlüsse
und Anträge. Der Kaiser ist nicht Landeskerr#im Reichs-
land, hat aber über dies Land alle landeskerrlichen
Rechte, soweit sie nicht anderen Organen ausdrücklich
überwiesen sind. Demgemäß kann der Kaiser selbst Reichs-
gesetzen, die Zundesrat und Reichstag in elsaßllothringischen
Landesangelegenheiten beschlossen haben, seine Sanktion ver—
sagen. Auch hat der Kaiser kraft gesetzlicher Sondervorschrift
das sogenannte Notverordnungsrecht, bedarf jedoch zu dessen
Ausübung der Sustimmung des Bundesrates (Ges. v. 25. Juni
1875, § 8). Anderweite Derordnungen erläßt der Kaiser frei,
soweit das Verordnungsgebiet reicht; die Gegenzeichnung hat
durch den Statthalter oder in dessen Stellvertretung durch den
Staatssekretär zu erfolgen.
Sorn, Neichsverfasfung. 7