Full text: Die Deutsche Reichsverfassung.

114 Das deutsche Volk (die Staatsangehörigkeit). 
1. Juni 1870 über Erwerb und Derlust der Staats- 
angehörigkeit. 
Im Bundesstaate kann es wie begrifflich in jedem Staate 
nur eine Staatsangehörigkeit geben; Bundes= und Landes- 
angehörigkeit können nicht zwei verschiedene, sondern müssen ein 
einheitliches Rechtsverhältnis sein. Der Hreuße, Baper, Bam- 
burger usw. muß ipso jure zugleich Deutscher sein. Da im 
Bundesstaat die Zundesgewalt Träger der Souveränität ist, ist 
die Staatsangehörigkeit in dieser Staatsform begrifflich primär 
Bundesangehörigkeit, aus der die Landesangehörigkeit erst sich 
ergibt. 
Aber die Grundlage der geltenden deutschen Gesetzgebung 
ist tatsächlich eine andere: danach ist die Landesangehsrigkeit 
das Hrimäre, und nur dadurch, daß jemand dem Einzelstaate 
angehört, wird die Reichsangehörigkeit erworben, sowohl bei 
den familienrechtlichen Erwerbsgründen, wie bei der erleih#ung. 
xUur in den Kolonien kann durch Derleihung und Eintritt in 
den Staatsdienst des Reiches eine unmittelbare Reichsangehörig- 
keit — ohne Candesangehsrigkeit — erworben werden (s. oben 
S. 105). 
In bemerkenswert anderer Weise hat die Gesetzgebung der 
Dereinigten Staaten von Nordamerika diese Fragen geordnet: 
die Einzelnen werden hier zuerst citizens of the United States 
und erst auf dieser Grundlage citizens of the state, wherein 
they reside. 
3. Daß ein Deutscher mehrere deutsche Staatsangebörig= 
keiten besitzen kann, ist zweifellos und auch prinzipiell un- 
bedenklich, da die Reichsangehörigkeit dadurch nicht berültrt wird. 
Daß aber ein Deutscher neben der deutschen auch die 
Staatsangekbörigkeit eines fremden Staates besitzen kann, ist 
zwar durch unsere Gesetzgebung nicht ausgeschlossen, aber 
prinzipiell in hohbem Grade bedenklich wegen der in der Staats- 
angekörigkeit liegenden Treuepflicht (Militärdienst); die franss- 
sische Gesetzgebung läßt demgemäß durch den Erwerb einer 
fremden Staatsangehörigkeit die französis che verloren geben 
(L. unten S. 116). · 
4. Die Staatsangehörigkeit ist TUntertanenverhältnis gegen- 
über dem Staat und seiner Rechtsordnung, im Bundesstaat also 
sowohl der Reichsgewalt, als der Einzelstaatsgewalt gegenüber, 
je nach der verfassungsmäßigen Derteilung der Staatsaufgaben.
	        
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