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Außer in dem durch Art. 1 bezeichneten Gebietsumfang steht
die Reichsverfassung seit 1. Januar 1874 noch in Kraft im
Reichsland Elsaß-Cothringen, allerdings mit wesentlichen Modi-
fikationen, die an dieser Stelle nicht näher untersucht werden
können (s. dazu unten § 24).
In den Nolonien, die seit 1884 das Deuts che Reich er-
worben hat, gilt die Reichsverfassung nicht; die Kolonien sind
vollkommen selbständige Reichsgebiete mit eigenem Recht (s. dazu
unten § 25.
5. Kapitel-
Das Reich kein Bund, sondern ein Staat.
&* 15. Der Staat als Herrschaft.
Die vorstehenden Untersuchungen haben ergeben, daß von
vertragsmäßigen Grundlagen unseres Reiches im juristischen
Sinne nicht die Rede sein kann: das Deutsche Reich ist kein
vertragsverkältnis. Aber die Behauptung, daß das Reich
ein Staat, wenn auch in fäderativer Form, sei, bedarf noch des
positiven Beweises. Bierfür muß weiter ausgeholt werden.
So lange der menschliche Geist über den Begriff des Staates
nachzudenken begonnen hat, sind durch die Jahrtausende hin-
durch zahllose Definitionen vom Staat aufgestellt worden, und
diese Geistesarbeit wird wohl auch niemals aufhören.
So verschieden nun diese Begriffsbestimmungen sind, ein
Moment kehrt allenthalben wieder: der Gedanke der HBerr-
schaft. Und so dürfen wir mit dem großen Meister der deut-
schen Skaatswissenschaft im 10. Jahrhundert, mit Gerber, als
den Sweck des Staates Berrschaft bezeichnen. Nicht nur herr.
schaft; aber in allem was der Staat tut, auch in allen seinen
Kulturaufgaben, tritt doch der herrschaftsgedanke, sei es ganz
unmittelbar, sei es mittelbar, hervor, selbst wenn er eine
Nordpolexpedition ausrüstet oder Ausgrabungen in Glympia
veranstaltet.
So ist HBerrschaft der immanente Staatsgedanke.