Full text: Die Deutsche Reichsverfassung.

38 Das Reich kein Bund, sondern ein Staat. 
langen der NMation während der ganzen Seit des alten deutschen 
Bundes auf Beseitigung des alten Bundes und Herstellung einer 
anderen Bundesform der deuts chen Staaten gerichtet war, welche 
man offiziell und inoffiziell, in der Wissenschaft und im Parla- 
ment, im Volksmund und in der Presse, als „Bundesstaat“ 
bezeichnete. 
Was aber positiv ein Bundesstaat sei, wie dieser Zegriff 
zu bestimmen sei, darüber herrschte große Unklarkeit, und so all- 
gemein auch heute in der Wissenschaft diese Terminologie für 
die Bezeichnung des Rechtscharakters unseres Reiches geworden 
ist, die Unklarheit über den Zegriff des Zundesstaates dauert 
bis zu dieser Stunde an, und die Erörterungen der Schriftsteller 
über das Deutsche Reich als Zundesstaat beweisen nicht nur, 
wie jung und unfertig die Wissenschaft des Staatsrechtes in 
grundlegenden Hunkten auch heute noch ist, sondern sind auch 
von inneren Hidersprüchen keineswegs frei. 
Eine allgemeine Derbreitung hatte früher jene Theorie ge- 
wonnen, die den Zundesstaat als ein Staatswesen mit geteilter 
Souveränität zu konstruieren unternahm, derart, daß verfassungs- 
mäßig die Staatshokeitsrechte zwischen Bund und Einzelstaaten 
aufgeteilt seien und jeder der beiden Teile die ihmm zugewiesenen 
Staatsaufgaben als souveräner Staat wahrzunehmen habe. 
Diese Konstruktion, die vom Bistoriker Waitz herrührt, Batte 
zweifellos einen gewissen äußeren Schein für sich, denn Rier wie 
dort wurden Gesetze gegeben, hier wie dort bestand eine voll- 
ständige Regierung, und sie fand eine Seitlang in der Wissen- 
schaft viele Dertretung. Es war eine wissenschaftliche Tat von 
Hoker Zedeutung, daß im Jahre 1872 in einem Aufsatz der 
Tübinger staatswissenschaftlichen Seitschrift (S. 185 ff.) der mehr- 
erwähnte Max Sedvdel die logische Unhaltbarkeit jener Theorie 
in schneidender Schärfe nachwies. Sevdel führte aus, daß die 
angenommene „Teilung der Souperänität“ ein logischer Wider- 
spruch zu dem Begriff der Souveränität und demgemäß nicht 
als wissenschaftliche Grundlage des Bundesstaates möglich sei. 
Das hatten ja die Juristen des alten Maturrechtes auch bereits 
erkannt, und besonders Samuel von Dufendorf hatte es mit 
aller Klarhe# it ausgesprochen; aber während der Alleinherrschaft 
der historischen Schule im 10. Jahrhundert waren diese Sätze 
verloxen und vergessen worden. In der Seit des amerikonischen 
Sezessionskrieges waren die Sepdelschen Gedanken mit großer
	        
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