Object: Die Deutsche Reichsverfassung.

Die Organisation der Reichs-Staatsgewalt. 77 
Ein Furverantwortungziehen der Reichstagsmitglieder in solchen 
Fällen ist demnach nur möglich im Rahmen der Geschäfts- 
ordnung, die sich der Beichstag selbst gegeben Rat und die 
auch die Dorschriften über die parlamentarische Disziplin ent- 
hält (RV. Art. 27) 1). Nach diesen Vorschriften wird die Dis- 
ziplin ausgeübt durch den Hräsidenten bezw. durch Beschluß des 
Bauses und bestebt in Grdnungsruf, Wortentziehung und Aus- 
schluß von einer Sitzung. Derschiedene Dersuche auf Der- 
schärfung dieser Disziplinarvorschriften, die durch tatsächliche 
Dorkommnisse veranlaßt waren, haben bis jetzt zu einem Resultate 
nicht geführt, abgesehen nur von dem Ausschluß von einer 
Sitzung, welche Vorschrift der Geschäftsordnung im Jakre 1895 
eingefügt wurde. Das oben angegebene Hrivileg muß, wie alle 
Drivilegien, eng interpretiert werden; es enthält demgemäß ins- 
besondere kein Recht der efreiung von der allgemeinen, durch 
die Hrozeßordnungen festgestellten Staatsbürgerpflicht, gericht- 
liches Seugnis abzulegen. 
Auch außerhalb des Rahmens der parlamentarischen Ver- 
kandlungen ist die Stellung der Reichstagsmitglieder eine privi- 
legierte. Die einschlägigen Vorschriften der Derfassung enthalten 
eine weitausgedehnte Sinschränkung der allgemeinen Rechts- 
ordnung zu gunsten der Mitglieder des Reichstages und müssen 
demgemäß gleichfalls nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen aufs 
engste interpretiert werden. Einmal ist festzustellen, daß diese 
Drivilegien nur während der Sitzungsperiode des Zeichstages 
(sietbe über diesen Begriff oben S. 75), also allerdings auch 
während der Dertagungszeit, bestehen; hierher gehört auch der 
durch Spezialgesetz vom 26. Mäez 1805 — in Ergänzung von 
StechB. § 60 — festgestellte Grundsatz, daß während dieser Seit 
der Lauf der Derjährung der Strafverfolgung unterbrochen 
wird („ruht"). Der Inhalt des Hrivilegs ist ein dreifacher: 
1. kein Mitglied des Reichstages kann während jener Zeit ohne 
formell erteilte Genehmigung des Reichstages wegen einer mit 
Strafe bedrohten BKandlung — also auf Strafvollstreckung 
bezieht sich das Hrivileg nicht — zur Untersuchung gezogen 
oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der 
Tat oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird; 
2. ebenso ist zu jeder Verhaftung im Rahmen des Sivilprozesses 
1) Den Wortlant s. oben S. 75 Note 4.
	        
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