Die Vorgeschichte des Reiches. 5
Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, seit dem Untergang
der Bohenstaufen, ist es weltgeschichtlich vollkommen klar, daß
das deutsche Dolk auf diesem Wege seine starke Staatseinheit
nicht gewinnen wird. Die große Religionsbewegung des
16. Jahrhunderts wirkte dann mit ungebeurer Stärke in der
gleichen Richtung, und der Westfälische Friede Bat 1648 dies
Ergebnis endgültig besiegelt.
Eine scheinbare Einheit zwar war vorhanden in der Form
des alten Reiches, des heiligen römischen Reiches deutscher Mation;
aber diese Einheit war, wenn auch äußerlich mit dem höchsten
Glanze der Welt ausgestattet, innerlich kraftlos, wie uns die
traurige Geschichte Gesamt-Deutschlands seit der Hobenstaufen-
zeit und besonders in den Jahrhunderten nach der Reformation
beweist. Das deutsche Land war im 17. und 18. Jahrhkundert
bis 1815 immerwährend der Tummelplatz fremder Heere, die
das Land in furchtbarer Weise aussogen, ein Sustand, der jede
Möglichkeit der Entwickelung des nationalen Wohlstandes gänz-
lich abschnitt. Indes die Franzosen und Engländer, ja selbst
die Holländer, reiche Dölker wurden, wie sie es bis heute sind,
blieb das deutsche Dolk arm und elend; die Zauptfrucht seiner
Arbeit genossen andere Dölker, besonders diejenigen, die nach
dem durch die staatliche Ghnmacht verschuldeten Untergang der
deutschen Hansa die Seeberrschaft und die großen Seehandels-
plätze der Welt innehatten.
In der letzten Seit vor seinem Untergang war das alte
deutsche Reich ein loses Konglomerat von mehr als 300 Staats-
gebilden der verschiedensten Art: etwa ein Drittel des Landes
beherrscht, auch weltlich, von Bischöfen als geistlichen Fürsten;
dazu ein paar hundert kleiner weltlicher Gebiete, teils von
Landesherren regiert, teils in republikanischer Form ein mehr
oder minder kümmerliches Dasein fristend; Reichsstädte, selbst
Reichsdörfer, und die Dormacht Osterreich damals schon ein
„polvglottes WonRstrum“, dessen deutsche Kulturländer erblich
belastet waren mit fremden, zum Teil heute noch halbbarbarischen
Anhängseln: Ungarn, Holen, Kroaten, Slowenen usw.
Das war eine unmögliche Grundlage für die Gestaltung
und Entwickelung eines gesamtdeutschen Wationalstaates: es
wurden auch nach dem Interregnum gar keine ernsthaften Der-
suche nach dieser Richtung mehr unternommen.
Ganz ohne Cichtseite war freilich auch dies trostlose staat-