II. Buch. Finanzen und Steuern. 119
und Bevölkerungszunahme bewirkte Wachstum nicht aus, dem Bedarf zu genügen.
Eine einfache Erhöhung der Steuersätze, wie sie bei Einkommens-, Ertrags-, Vermögens-
steuern in der Regel mit der Wirkung des Erfolges möglich ist, läßt sich bei jenen nicht
so ohne weiteres vornehmen. Wirtschaftliche Rücksichten auf die Produzenten und Händ-
ler erfordern sorgfältige Erwägung; bei den Zöllen ist daneben noch durch Verträge
u. a. die Erhöhung zeitweise ausgeschlossen. Steuererhöhungen sind bei den Verbrauchs-
steuern fast immer mit Umbildungen der Grundlagen der Besteuerung verbunden.
Längere Beratungen gehen vorher; die Presse und Interessenvertretungen bemächtigen
sich der Vorlagen; berechtigte und unberechtigte Ansprüche machen sich geltend. Nament-
lich seit die Produzenten und Händler sich zu Verbänden zusammengetan haben, ist es
ihnen gelungen, einen bis in die Parlamente reichenden Einfluß zu gewinnen, der natur-
gemäß einen festen Rückhalt an der breiten Masse der Konsumenten findet. Man denke
nur an die Agitation der Tabakinteressenten im Jahre 1909. Nicht selten war eine Regie-
rungsvorlage schon verurteilt, noch bevor sie zur Beratung im Reichstag kam. Die alten
Vorurteile gegen Monopole haben kaum etwas an Stärke verloren; man nahm lieber
den Nachteil eines Privatmonopols in Kauf, als daß man seine Erträge durch den Staats-
betrieb der Allgemeinheit zugeführt hätte. So bei dem im Fahre 1909 geplanten Zwischen-
handelsmonopol mit Branntwein. Wenn es trotz aller dieser Schwierigkeiten gelungen
ist, den Ertrag der Getränke-, der Zucker- und der Tabaksteuer von 145 Mill. M. im
Zahre 1888 auf 582 Millionen im Jahre 1913 zu steigern, so war nur die bittere Not die
treibende Ursache.
Da man die bisher ausgenützten Steuern nicht noch mehr anspannen konnte oder
wollte, so war man genötigt, auch noch andere Verbrauchs- und Aufwandsteuern hinzu-
zufügen, wie die historische Ubersicht gezeigt hat. So ist es gekommen, daß die sämtlichen
Verbrauchssteuern einschließlich der Zölle nach der Rechnung von 1911: 1368 Mill. M.
oder rund 21 M. auf den Kopf der Bevölkerung betragen. Zum Vergleich mag bemerkt
werden, daß nach den Rechnungen für 1912 bzw. 1911 die Belastung mit den gleichen
Abgaben in Engsand etwa 34, in Frankreich 41 M. auf den Kopf beträgt. Der Prozent-
anteil dieser Abgaben gegenüber den anderen, also den Verkehrs- und sog. direkten Steuern
betrug im Reich 84, in England 46, in Frankreich 54. Bei Betrachtung dieser Zahlen,
die nur einen ganz rohen Maßstab geben können, darf aber nicht vergessen werden, daß.
der Vergleich schief ist. In Deutschland bilden Neich und Bundesstaaten zusammen eine
finanzielle Einheit, und man muß, wenn man die deutsche Steuerbelastung mit der Eng-
lands und Frankreichs vergleichen will, auch die Steuereinnahmen der Eliedstaaten mit
in Rechnung setzen. Und da diese zum weitaus Überwiegenden Teil aus direkten Steuern
fließen, so nähert sich im Endergebnis der Anteil der einen und der andern Steuern der
französischen Ziffer.
Je höher die Steuersätze der Verbrauchssteuern und die Belastung des notwendigen
Konsums durch Zölle wurde, um so eifriger wurde die Frage erörtert, ob nicht Einhalt
in ihrer weiteren Ausnutzung mit Rücksicht auf die minderbemittelten Klassen geboten
sei. Aun läßt sich das Maß der Belastung der einzelnen Klassen durch Verbrauchssteuern
und Zölle nicht einwandfrei feststellen, immerhin wird man zugeben müssen, daß es eine
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