120 Finanzen und Steuern. II. Buch.
bemerkenswerte Höhe erreicht hat, und daß der Druck, den sie auf die unteren Klassen
ausübt, nicht ausgeglichen wird durch die Erleichterungen im direkten Steuerwesen
der Einzelstaaten. Die gesetzgebenden Faktoren des Reiches haben das auch namentlich
seit den letzten 10 Jahren anerkannt und Abhilfe zu schaffen gesucht. Schon die stärkere
Ausnutzung der Verkehrssteuern ist hierfür ein Sypmptom. In derselben Richtung lag
auch der Ruf nach der allgemeinen Erbschaftssteuer und nach der „Besitzsteuer“, von der
freilich niemand recht sagen konnte, welcher Art sie sein sollte. Gemeint war damit jeden-
falls die Forderung, daß es nun genug an den Verbrauchssteuern sei, und daß weitere
Lasten den leistungsfähigeren, „besitzenden“ Klassen aufgebürdet werden sollen. Ubrigens
erschallt dieser Ruf nicht nur in Deutschland; vielmehr macht sich überall, selbst in Frank-
reich, das Bestreben geltend, die neuen Ausgaben der sog. richesse acquise zuzuschieben
und besonders die Wehrforderungen für die Landesverteidigung den angesammelten
Sparfonds zu entnehmen. In sozialer Hinsicht erscheint dies als ein Fortschritt. Es wird
auch nicht bestritten werden können, daß in Deutschland weitaus der größte Teil des Wehr-
beitrags und der Besitzsteuer wird aufgebracht werden können, ohne den Vermögensstamm
anzugreifen, indem der Steuerpflichtige sich einige mehr oder weniger überflüssige Aus-
gaben versagt. Daß aber die Volkswirtschaft den Entzug von 1 Milliarde M. durch Ver-
schiebungen im Erwerbsleben verspüren wird, kann nicht zweifelhaft sein. Die Rüstungs-
industrien, das Wort im weitesten Sinne genommen, werden aufblühen; andere Ge-
schäfte, bei denen die Nachfrage nachläßt, werden wenigstens vorübergehend leiden.
Rechtzeitige Zurückhaltung im Schuldenwesen hätte die Möglichkeit gewährt, einen großen
Teil der einmaligen Ausgaben der neuen Wehrvorlage auf Anleihen zu nehmen. Zetzt
büßen die Söhne für die Sünden der Bäter.
Für die Zukunft ergibt sich jedenfalls die Mahnung, in der Ordnung des Haushaltes
mit möglichster Strenge zu verfahren und die Anlässe zu Schuldaufnahmen wenigstens
allmählich zu vermindern. Damit hängt die andere zusammen, keine Ausgabe zu bewilli-
gen, bevor nicht die Heckungsmittel bereitgestellt sind. Es ist mit Sicherheit vorauszu-
sehen, daß Negierung und Reichstag über kurz oder lang sich neuerdings vor dem Problem
der Steuermehrung befinden werden. Die Erfahrung von Jahrzehnten zeigt, daß die
Sparsamkeit in der Bewilligung von Einnahmen schlimme Folgen zeitigt. Das ratenweise
Steuerbewilligen bringt den Haushalt des Reiches in Unordnung und erzeugt beim Steuer-
zahler und den beteiligten Industrien steigenden Unmut. Es muß dabei als selbstver-
ständlich gelten, daß die künftigen Vorlagen von dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit
beherrscht sein müssen. Das soll nicht den Verzicht auf eine Höherbelastung solcher Gegen-
stände bedeuten, deren Konsum ohne Gefahr für die Volksgesundheit je nach Einkommen
vermindert oder aufgegeben werden kann, wohl aber soll jene Forderung auf die Pflicht
einer aussöhnenden Belastung der stärkeren Steuerkräfte verweisen, deren Reigung zur
Steuerzahlung nicht immer im Verhältnis steht zur Mehrung des Wohlstandes und des
Einkommens.
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